Fatales Vermächtnis
»Meister Hetnil,
Ihr habt soeben unsere Lösung gefunden.«
»Ohne es zu wissen, Oberer.« Er hatte keine Ahnung, was
Matuc meinte.
»Er mag ein Nekromant sein, er mag Geister befehligen können, und er kann der Mann der Kabcara von Tarpol und Borasgotan sein. Doch eines gelingt ihm nicht: über den Gesetzen zu stehen.« Seine Züge hatten einen verschlagenen Ausdruck angenommen. »Das ist brillant, Meister Heträl. Ohne Euren Hinweis
wäre ich auf diese einfache Art niemals gekommen.«
»Nun besteht die Kunst wohl darin, ihn eines Vergehens zu
überführen.«
»Nein. Ihm eins unterzuschieben. Und zwar mit einer solchen Eindeutigkeit, dass es keine Rettung für ihn geben wird und er seinen bleichen Nacken vor dem Richtbeil beugen muss.« Matuc zeigte sich begeistert, seine Wangen leuchteten vor Freude. »Es muss ein Verbrechen sein, das mit dem Tode bestraft wird.«
»Da bleibt nicht viel, Oberer.« Heträl fand das Gespräch gefährlich. »Ihr müsstet Unschuldige ermorden und Bardric als Schuldigen darstellen. Könntet Ihr das mit Eurem Gewissen und vor Eurem Gott verantworten?«
Matuc nickte, ohne zu zögern. »Weil ich überzeugt bin, dass er von unserem Kontinent verschwinden muss. Die Prophezeiung zur Dunklen Zeit hat noch immer ihre Gültigkeit, auch wenn das nur die wenigsten sehen.« Er neigte sich nach vorn. »Solange er lebt, stehen Ulldart immer weitere Bedrohungen ins Haus. Daran gibt es keinen Zweifel für mich. Und wir haben lange im Geheimen Rat darüber beraten.«
Heträl erhob sich. »Verzeiht mir; Oberer, aber ich möchte mit dem, was Ihr plant, nichts zu tun haben.«
»Was? Ihr habt mich auf den Gedanken gebracht, wir teilen die gleiche Überzeugung, und ausgerechnet Ihr wollt nicht teilhaben?« Er war sichtlich enttäuscht. »Für so zimperlich habe ich Euch nicht gehalten.«
»Es macht mir nichts aus, einem Lodrik Bardric, der massenweise Verbrechen begangen hat, das Leben zu nehmen, aber Unschuldige zu töten, das widerstrebt mir.« Der Meisterschütze verbeugte sich. »Seht es als meinen Beitrag zur Rettung an, doch ausführen dürft Ihr sie allein. Damit gebührt Euch auch der gesamte Ruhm.« Er deutete mit der Linken auf sich. »Lasst mich weiter darüber nachdenken, mit welcher Sorte Pfeil ich ihm den Kopf von den Schultern schießen kann. Wir werden sehen, wer von uns beiden sein Ziel zuerst erreicht. Ulldrael der Gerechte möge mit Euch sein, Matuc.«
Heträl schritt hinaus, durch den Gang zurück auf die Straße.
Kontinent Ulldart, Königreich Iuris, Freie Stadt Ammtara, Spätherbst im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)
Die Geschichten über die Veränderung von Estra bekamen unvermittelt zwei Zeugen, mit denen man nicht mehr gerechnet
hatte: Gän und Tokaro von Kuraschka.
Und diese Zeugen standen vor der Versammlung, bei der lediglich die Gesandten der Nicti fehlten. Pashtak tat es in der Seele weh, den Beweis präsentieren zu müssen, der sämtliche Gerüchte um die einstige Inquisitorin der Freien Stadt bestätigte. »Hier ist die Karte, von der uns Gän erzählt hat«, sagte er zu den Männern und Frauen an der langen Tafel und ließ sie von einem Diener hochhalten, damit es alle sahen. »Ich habe Kopien anfertigen lassen, die Ihr vor Euch in den Mappen findet.« Es wurde geblättert und geschaut. »Gän, sei so freundlich und erkläre, was Estra in Kalisstron zu dir gesagt hat.«
»Sie verlangte das Amulett, um zu den Nicti zu gehen. Als halbe Göttin und Königin«, sprach der Nimmersatte mit seiner dröhnenden Stimme. Er hatte wie Tokaro viel seiner Leibesfülle eingebüßt, die Überfahrt nach Ulldart war entbehrungsreich gewesen. Dennoch wirkte er noch immer stattlich und respekteinflößend. »Ich habe keinen Zweifel, dass sie versuchen wird, das in die Tat umzusetzen, was ihre Mutter begonnen hat. Den Krieg, den sie gegen Kensustria führt, wird sie gegen alle führen, die ihr dabei im Weg sind.«
Die Abgesandten und gekrönten Häupter betrachteten die Karten mit den neuen Grenzen, den veränderten Flussläufen, den Straßen, die lediglich ein Ziel kannten: Ammtara. Tokaro schwieg und überließ Gän das Sprechen. Er war innerlich zerrissen. Seine Liebe und sein Versprechen an Estra, sie nicht
allein zu lassen und ihr gegen den Fluch zu helfen, rangen mit dem Offenkundigen, was sich in Kensustria ereignete. Es konnte keine friedliche Einigung mehr mit den Nicti geben. Und sie gehorchten den Befehlen seiner Liebsten, der Frau, die er in Kalisstron
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