Fatales Vermächtnis
Zuneigung für den Mann aus Türis schwand. »Er hat hinreichend gebüßt. Einmal muss es genug sein.
Er hat keinerlei Ämter inne, auf eigenen Wunsch, wohlgemerkt, und er jagt Zvatochna, um das letzte Stückchen Wurzel des wahren Übels auszureißen. Wenn er danach Vahidin vernichtet, hat ihm keiner mehr etwas vorzuwerfen.« Sie sprach laut und deutlich; die braunen Augen hielt sie fest auf den Gast gerichtet. »Solltet Ihr ihn nicht in Ruhe lassen, Meister Heträl, sage ich Euch den Kampf an!« Norina deutete mit dem Löffel auf den Bogen, der auf einem Sessel abgelegt worden war. »Ihr mögt ein begnadeter Schütze sein, der mich gewiss dreimal am Tag von irgendwelchen Hausdächern oder aus Fenstern heraus ermorden könnte, aber ich lasse nicht zu, dass Ihr meinen Ehemann jagt. Sollte ich dadurch Eure Feindschaft erlangen, ist es nicht zu ändern.«
Heträl lächelte. »Ihr erlangt durch Eure Äußerung allenfalls meinen tiefen Respekt, hoheitliche Kabcara. Ihr seid seine Gemahlin, und würdet Ihr Euch nicht für ihn einsetzen, hättet Ihr den Titel wohl nicht verdient.« Er betrachtete sie und überlegte; dieses Mal schrieb er langsam. Es sah beinahe so aus, als zeichne er. »Ihr werdet niemals meine Feindin sein, hoheitliche Kabcara. Ganz im Gegenteil, ich wache über Euch. Ihr werdet keinen Wimpernschlag mehr allein sein, Ihr müsst weder Licht noch Dunkelheit fürchten. Es wird stets ein wachsames Auge da sein, um einen lauernden Feind abzuwehren - solange er in menschlicher Gestalt daherkommt.«
»Dafür danke ich Euch, aber glaube nicht, dass Ihr es allein schafft.« Norina versuchte, den Gegenstand ihrer Unterhaltung zu wechseln. Sie wollte nicht länger über den Tod ihres Gemahls sprechen.
»Wer sagt, dass ich allein bin?«
Norina schaute sich um. »Sind wir das nicht?«
Heträl schüttelte den Kopf. »Ihr hattet mich gefragt, warum ich so lange verschwunden blieb.« Die Kreide quietschte ein wenig. »Es gab Vorbereitungen zu treffen. Eine alte Organisation ist auferstanden. Oder besser gesagt, sie ist aus dem Schlaf erwacht. Wir sind derer viele, hoheitliche Kabcara, und die wenigsten von uns
sind im Umgang mit Pfeil und Boden schlechter als ich. Wenn sie es sind, so bestehen geringe Unterschiede.« Er unterbrach sein Schreiben und genoss einen Schluck Tee mit Kirschmarmelade und Sahne. »Es gibt kaum ein besseres Getränk. Ich glaube fast, das hat mir am meisten während meiner Rast im Krankenbett gefehlt.«
Norina versuchte zu erkunden, wohin sie das Gespräch führte
und ob sie es guthieß. »Ihr wollt mir damit sagen, dass meine
Schritte den ganzen Tag überwacht werden?«
»Alle Königshäuser Ulldarts haben Beschützer in den Schatten. Mit Beginn des Sommers stehen wir auf unseren Posten«, erklärte Heträl. »Wir sind gegen Umstürze und Attentate, gegen Aufstände und ständige Thronwechsel. Ulldart muss Frieden finden, denn wer weiß, was uns in den kommenden Jahren noch alles von außen an Gefahr angetragen wird.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Perdor Männer hat, die mehr als Spione sein können.«
»Perdor hat mit den Menschen, die ich erwähnt habe, nichts zu tun. Die Schwarze Sichel hat sich in alter Stärke erhoben und ihre Vorränge neu verteilt. Wir werden unser Können im Gegensatz zu früher ausschließlich in den Dienst des Guten stellen, ohne dass wir jemandem Rechenschaft ablegen. Wir sind nicht mehr die gedungenen Mörder von einst.« Heträl erhob sich und verbeugte sich vor ihr.
»Ich empfehle mich, hoheitliche Kabcara. Eine Sache noch: Wenn Ihr Perdor demnächst sprechen solltet, warnt ihn vor den KTar Tur. Es gibt einen unter ihnen, der die Fäden in Tersion zieht.«
»Die KTar Tur? Ich dachte, dass sie seit dem Aufstand gegen Alana die Zweite vor einigen Jahren sämtlicher Macht beschnitten worden wären.«
»Offiziell sicherlich«, schrieb er und sah besorgt aus. »Richtet Perdor meine Worte aus. Und sagt ihm auch, dass die Hauptgefahr nicht in Tersion sitzt. Mehr wissen auch wir nicht. Mögen Euch die Götter leiten.« Heträl schritt rückwärts zur Tür, verneigte sich ein weiteres Mal und verließ das Zimmer. Norina schwieg, stand auf und ging zu einer großen, gläsernen Tür, die von der Stadt abgewandt lag. Hinter dem Palast erstreckte sich ein Garten, wie ihn die Ulldrael-Klöster anlegten, und sie mochte es, darin zu wandeln und zu sinnieren.
Sie trat hinaus, lief den hellen Kiesweg entlang und berührte die Blätter rechts und links von ihr
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