Fatales Vermächtnis
zwei Blutrinnsale hatten ihren Weg aus der Wunde bis aufs weiße Laken geschafft; zwischen den Fingern der rechten Hand klemmte ein abgerissenes Stück Lederband, und neben dem Bett lag eine Iurd-Krone.
»Oh, Ulldrael«, stöhnte der Hajduk entsetzt und wandte sich um. Valeria hatte es sich demnach doch anders überlegt.
Noch ganz im Schrecken seiner Entdeckung gefangen, wollte er zurück zum Eingang eilen, um Alsa gegen einen möglichen Angriff beizustehen - da bemerkte er durch die offene Tür zu Valerias Zimmer einen menschlichen Umriss am Boden. Brahim hielt inne, kehrte zum Eingang zurück; vorsichtig schaute er
hinein.
Valerias unbekleideter Körper lag verdreht auf dem Teppich vor
ihrem Bett. Sie hatte vier Messerstiche zwischen den Rippen und entlang des Rückgrats zugefügt bekommen; ihr Gesicht war selbst im Tod voller Verwunderung, als könnte sie nicht glauben, gestorben zu sein. In dem Moment hörte er den spitzen Schrei, der aus Alsas Kehle stammte.
»Ich komme!« Brahim flog durch die Korridore und nahm sich eines der Zierschwerter von der Wand. Er keuchte, seine Beine schmerzten, und er schwor endgültig, an Gewicht zu verlieren, sofern er den Tag überstand.
Nach schier endlosen Augenblicken gelangte er durch die Bibliothek zum Ausgang; zwischen den Säulen lag die regungslose Gestalt der jungen Tersionin. Weit von ihnen entfernt ritten die Fremden mit einem weiteren Begleiter auf dem fünften Pferd.
Brahim kümmerte sich nicht um sie, er kniete sich neben Alsa, deren linke Schulter verbrannt war, als sei sie von Feuer oder glühender Kohle getroffen worden. Zu seiner Erleichterung lebte sie noch. Sie kam in diesem Moment wieder zu sich und wimmerte herzzerreißend. »Das wird wieder heilen«, versprach er ihr. »Atmet tief ein und aus.«
»Es war Demön«, weinte sie. »Ich habe ihn erkannt, als der Wind ihm die Kapuze von den Haaren wehte. Ich habe nach ihm gerufen, und dann weiß ich nichts mehr...« Ihr Gesicht verlor sämtliche Farbe.
»Ruhig. Wir können es nicht mehr ändern.« Brahim hob sie vom Boden auf und trug sie in die Küche, um ihre Wunde mit kaltem Wasser zu kühlen. »Er hat uns alle getäuscht.« Er legte sie auf den Tisch, dann pumpte er frisches Wasser in einen Topf und goss es sachte über die verbrannte Stelle. Alsa ächzte auf und klammerte sich mit der linken Hand an seinen Oberarm. »Es muss sein. Es schmerzt, aber es kämpft gegen die Hitze der Verbrennungen an.« Er wiederholte die Prozedur unaufhörlich, bis die
Haut nicht mehr krebsrot war. Der Schreck hatte ihr mehr zu schaffen gemacht als die Verwundung als solche.
»Was ist mit Ormut und Valeria?«, fragte sie schniefend. »Beide tot. Erstochen von Demön.« Für einen Augenblick war
seine Angst vor weiterem Verrat so groß, dass er auch ihr unterstellt hätte, an den Morden beteiligt zu sein, aber er verwarf den Gedanken. Alsa hatte zu ehrliche Augen für derlei Hinterlist. »Wir müssen dem König Bescheid geben, damit er die Fremden aufhalten kann.« Er sah sie abschätzend an. »Kann ich Euch allein lassen?«
»Ja«, sagte Alsa und richtete sich langsam auf. »Es geht schon.«
Brahim schrieb in aller Hast eine Botschaft, packte sie ein, rannte zum Verschlag mit den Tauben und schnallte einem Vogel das Ledergeschirr um, an dem die kleine Kapsel mit dem Papier angebracht wurde.
Das Tier flatterte davon.
»Hoffentlich bist du schnell genug«, sagte Brahim leise. »Sonst
entkommt ein Mörder und gewissenloser Schurke.«
Tief in sich wusste er, dass die Taube seine Nachricht zu spät
überbringen würde.
Kontinent Ulldart, Königreich Ilfaris, Herzogtum Vesoeur, Frühsommer im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)
Nech hatte das Schlösschen nicht verlassen.
Ganz im Gegenteil, er hatte es zu seinem neuen Domizil erhoben und einen großen Teil seiner vierhundert Besten im benachbarten Schlösschen untergebracht; der einschüchternde Körperbau der Angorjaner und die Waffen unterdrückten jeden Widerstandswillen der Bewohner. Er stand auf dem Turm, wo er sich wegen der Aussicht am liebsten
aufhielt. Als er hinter sich leise Schritte vernahm und ihn ein
vertrauter Geruch umwehte, sagte er: »Ich liebe deine Heimat, Amaly-Caraille. So etwas gibt es im Süden Angors nicht. Du wirst
es selbst sehen.«
Er streckte den Arm aus, ohne sich umzuwenden, und die Hand wurde von schmalen Fingern erfasst. Die junge Adlige kam an seine Seite und verbeugte sich tief vor ihm. Es bedeutete ein Privileg,
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