Fatales Vermächtnis
dass sie sich nicht auf den Boden werfen musste.
Dieses Privileg hatte sie sich mit vielen Nächten an der Seite des jungen Kaisers verdient, der nicht genug von ihr bekommen konnte.
Amaly-Caraille war niemals berechnend gewesen, und dass sie derart von Liebe überfallen werden konnte, hätte sie nicht für möglich gehalten. Sich auf den ersten Blick in einen Fremden zu verlieben, das gab es nur in Geschichten, hatte ihre Mutter stets gesagt. Seit dem Erscheinen von Nech wusste sie es besser.
»Ich freue mich schon, wenn Ihr mir Eure Heimat zeigt, höchster Kaiser«, antwortete sie und verneigte sich. Was sie sah, machte ihr Angst. Die Auen hatten sich in ein Sammellager verwandelt. Zelte standen dicht an dicht, und sie sah grünhaarige Fremde und Angorjaner. »Wozu benötigt Ihr die vielen Soldaten?«
Nech wusste, dass sie sich große Sorgen machte. »Sie werden den Menschen nichts tun. Ich bereite mich darauf vor, von meinen Feinden angegriffen zu werden. Sollten sie es tun, werde ich sie vernichten«, erklärte er ruhig. »Mein Tai-Sal Ib'annim und ich sind der Meinung, dass es zu einem Angriff kommen wird. Da wir keine Spione außerhalb von Ilfaris haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als immerzu wachsam zu bleiben.«
Amaly-Caraille betrachtete das Heer. »So viele Krieger. Das gab es in Ilfaris noch nie.«
Nech wandte ihr den Kopf zu. »Ich werde dich zu meiner Gemahlin machen.«
Sie wagte es zuerst nicht, sich zu bewegen. Dann drehte sie sich zu ihm. »Spielt nicht mit meinen Gefühlen, höchster Kaiser. Mir ist bewusst, dass Ihr niemals...«
»Ich werde dich zu meiner Gemahlin machen, Amaly-Caraille«,
wiederholte er. »Wirst du mir folgen?« Sie schluckte. »Ich weiß nicht, was es bedeutet, die Frau eines angorjanischen Kaisers zu sein«, sprach sie ihre Bedenken aus. »Werde ich Euch nicht enttäuschen? Mache ich nicht alles falsch,
was man nur falsch machen kann?«
Nech lachte und strich über ihr blondes Haar. »Es gibt Menschen, welche dir alles beibringen, was du wissen musst. Doch erst gilt es, den Krieg gegen meinen Bruder zu gewinnen. Danach mache ich dich zur mächtigsten Frau von Angor. Zur Kaiserin eines riesigen Reiches, in das Ilfaris einhundert mal hineinpasst.« Er blickte sie ernst an, und es sah mehr nach einer Kriegserklärung als nach einem Eheversprechen aus.
Amaly-Caraille bemerkte, wie tief bewegt er war, und deswegen verstand sie seinen Ton richtig. »Ich möchte von ganzem Herzen«, sagte sie laut und verneigte sich. »Doch nicht ohne das Einverständnis meines Vaters.«
»Wozu? Er sollte stolz auf dich sein!« Nech bemühte sich, nicht aufzubrausen. »Er würde es nicht wagen, deine Wahl infrage zu stellen.« Kurzerhand ging er die Treppe des Turmes hinab und zerrte Amaly-Caraille mit sanfter Gewalt hinter sich her. »Wir fragen ihn auf der Stelle.«
Sie hasteten durch die Gänge und Zimmer des Schlösschens, begleitet von sechs Leibwachen, bis sie den Herzog und den Grafen Pontainue in einem Salon bei einem Spiel fanden. Amaly-Caraille kannte die Regeln. Die Adligen hielten lange Stöcke in der Hand, mehrere farbige Kugeln lagen auf dem umrandeten Tisch, dessen fünf Ecken Taschen besaßen. Man musste versuchen, eine schwarze Kugel mit einem langen Stock zu treffen und dabei andere Kugeln in den Löchern zu versenken; für eine Kugel gab es einen Punkt. Ein sechstes Loch befand sich genau in der Mitte. Die Kugeln, die hier hineinrollten, wurden dem Verursacher wieder abgezogen. Natürlich fanden sich auf der Umrandung zwei Beutelchen. Der Wetteinsatz.
Der Graf, ein Mann mit einer großen Perücke auf dem Kopf
und einem Gehrock aus schimmernder roter Seide, sah beunruhigt zu den Bewaffneten. Er hatte sich das glatt rasierte Gesicht weißlich geschminkt, die blauen Adern waren aufgemalt worden. Durch die Schminke hindurch war es schwierig, sein Alter zu schätzen, doch fünfzig Jahre hatte er sicherlich auf dem Buckel. »Nanu?«
Guedo Halain Herzog von Vesoeur stöhnte entnervt auf. »Los, auf den Boden«, sagte er zu seinem Gast. »Er besteht darauf, dass man...«
Doch Nech hielt ihn auf. »Nein, bleib stehen und vernimm, was ich zu sagen habe. Herzog, ich halte um die Hand deiner Tochter an.«
Hätte man Guedo seinen Stock ins Ohr gesteckt oder ihn zum Schlucken einer der faustgroßen Kugeln aufgefordert, hätte er nicht entsetzter schauen können.
»Das nenne ich resolut«, merkte Pontainue an und setzte sich halb auf den Tisch. »Meinen Glückwunsch,
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