Faunblut
Wilde, immer in der Angst, die Echos könnten uns doch noch aufspüren. Denn sie suchten uns, das wusste ich. Eines Tages liefen wir Spähern in die Arme. Ich dachte, es seien Echos, aber dann erkannte ich, dass es Menschen waren – Soldaten aus einem anderen Land, Fremdländer, Spähtrupps mit Spürhunden. Sie nahmen uns mit in ein Lager. Und dort wurde ich verhört.«
»Die Lady!«
Er nickte. »Ich kann Lilinn besser verstehen, als du denkst. Ich war verzweifelt und trug die Rache im Herzen wie eine giftige Blüte, die nur darauf wartete aufzugehen. Ich hatte Tishmas Pläne vom Winterpalast gesehen, ich kannte die Sprache der Echos und viele ihrer Geheimnisse. Ich wusste, dass die Königsbrüder sich uneins waren, dass die Fehden im Palast sie davon ablenkten, die Anzeichen zu erkennen. Lady Mar sammelte ihre Truppen und wartete auf ihre Gelegenheit. Und als ich begriff, dass ich die Möglichkeit hatte, Tishmas Tod zu rächen, da nahm ich sie wahr.«
»Du hast die Könige verraten!«, sagte Jade fassungslos.
»Ich wusste, du würdest nicht lange mit mir in den Wäldern überleben können. Es ist meine Stadt, und ich wollte, dass du darin unter Menschen lebst, als eine von uns. Niemand erkannte dich, niemand ahnte, welche Geschichte sich hinter unserem Schicksal verbarg. Also half ich Lady Mar. Ich sagte ihr, sie solle dafür sorgen, dass kein Wasser mehr in den Palast floss. Ich gab die Hintertüren und Geheimgänge preis, die Schwachstellen und die Natur der Echos.«
Das also war der Blick in Jakubs verborgenste Kammer. Jade verstand plötzlich alles – das Dunkle, das zwischen ihr und ihrem Vater gestanden hatte. Jakubs Albträume und seine Angst vor den Echos. Und sie fühlte sich zerrissener denn je.
»Und ist es das Leben, das du für uns gewollt hast?«, fragte sie.
»Wir Menschen waren stets Sklaven, auf die eine oder die andere Weise«, erwiderte Jakub. »Doch in der Tandraj-Stadt waren wir in der Minderheit. Unter Lady Mars Herrschaft achtete ich darauf, ihre Gunst nicht auf die Probe zu stellen. Ich sorgte dafür, dass wir Kontakte zu den Flussleuten hatten, denn sie stehen der Lady nahe. Ich sprach beim Präfekten vor und die Lady zeigte sich dankbar. Wir mussten uns verstecken, bis auch die letzten Echos besiegt waren und die Stadt nicht mehr im Chaos versank. Nach dem Winterkrieg wurden alle Spiegel zerschmettert. Nur einen habe ich heimlich beiseite geschafft. Halte mich für verrückt, aber lange Zeit hatte ich gehofft, ich würde darin ein bekanntes Gesicht entdecken. Und auch die Karten, die ich aus dem Gedächtnis gezeichnet hatte, hob ich auf.
Nun, es war eine harte Zeit, aber schließlich erwies Lady Mar uns ihren Dank. Der einzige Grund, warum wir zwei heute nicht in einem Käfig am Kirchturm hängen, ist die Tatsache, dass die Lady mir vertraut. Und dass sie nicht weiß, wer du in Wirklichkeit bist.«
»Sinahe …« , sagte Jade.
Jakub lächelte traurig. »In der Sprache der Echos bedeutet es ›Eine von uns‹. Menschen lassen sich vom Äußeren täuschen, aber die Echos haben dich sofort erkannt, als sie dich sahen.«
Jade vergrub den Kopf in den Händen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Noch nie hatte sie sich so müde und leer gefühlt, aber es war eine gute Leere, die Leere eines verbrannten Feldes, auf dem endlich Neues wachsen konnte. Amber , dachte sie. Und ich.
Zwillinge. Es sind immer Zwillinge. Zwei Kronen. Sie hob den Kopf und sah Jakub überrascht an. Am liebsten hätte sie gelacht.
»Die Könige!«, rief sie. »Tam hat tatsächlich den Prinzen aufgespürt. Die Geschichte ist wahr. Er hat den Winterkrieg überlebt und wurde aus der Stadt geschafft. Aber sein Bruder hatte damals noch im Palast seine Gestalt verlassen und sich in eine Spiegelung geflüchtet.«
Und noch eine Erkenntnis schickte ihr einen siedend heißen Schauer durch die Adern. Faun! Er hatte gewusst, dass der Prinz ein Echo war, doch er hatte es ihr verheimlicht. Und er hatte mit aller Macht versucht, Jade von Jay fernzuhalten. Jay, der Echoblut witterte. Er hat gewusst, was ich bin! Aber er hat mich nicht an Tam verraten, sondern alles dafür getan, mich vor dem Sucher zu schützen. Dafür hat er mich sogar verlassen. Die Nächte zogen an ihr vorbei und erschienen in einem ganz neuen Licht. Und der letzte Funken von Hass verflog.
»Warum lächelst du?«, fragte Jakub erstaunt.
Jade schüttelte den Kopf und wurde ernst. »Dann ist es jetzt wohl an der Zeit, dass du meine Wahrheit
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