Faunblut
Eltern rechtzeitig zu bergen.«
Jades Hände waren ineinander verkrampft, und auch Jakub war so angespannt, dass seine Zornesfalte wie eine tiefe Furche seine Stirn teilte. Die Brüder standen sich gegenüber, Sonne und Mond, unversöhnlich und meilenweit voneinander entfernt.
Martyn war blass geworden. »Du hast recht«, sagte er leise, aber energisch. »Natürlich hast du recht. Und trotzdem, Arif: Ich werde mich nicht an die Vergangenheit klammern. Wenn nur die geringste Chance besteht, muss ich es versuchen.«
Jade hätte schwören können, dass Arif Martyn jeden Augenblick anschreien oder ohrfeigen würde, doch dann zeigte sich auf dem Gesicht des harten Mannes ein mürrisches Lächeln. »Du denkst, du kannst das schaffen? Nicht den Hauch einer Chance hast du! Du kennst die Strömungen nicht, Grünschnabel. Dafür werden wir Nama brauchen.«
Jade und Martyn begannen gleichzeitig zu strahlen.
»Wie lange?«, fragte Jakub nüchtern.
»Mindestens einen halben Tag«, sagte Arif ohne einen Funken von Zuversicht. »Wenn es überhaupt möglich ist.«
Das Fest
Den Gefangenen ging es schlecht, das sah Jade schon von Weitem, als sie an Jakubs Seite am Kirchplatz vorbei in Richtung Palast ging. Wenigstens milderten die Regenwolken, die an einem azurblauen Abendhimmel über der Stadt hingen, die Hitze etwas ab. Trotzdem schrien viele der Menschen vor Durst, andere lagen reglos zusammengekauert in den Käfigen. Jade und Jakub waren unwillkürlich langsamer geworden, und Jade wusste, dass auch ihr Vater versuchte, Lilinns Käfig zu erspähen. Sie konnte ihn nicht entdecken, aber vielleicht lag es auch daran, dass sie zu weit entfernt waren.
»Komm weiter«, flüsterte sie ihm energisch zu. Jakub schluckte schwer, dann beschleunigte er seine Schritte.
Die Straßen vor dem Palastviertel waren wie leer gefegt. Jade ließ den Blick verstohlen über verbarrikadierte Fensterläden schweifen und fragte sich, ob die Rebellen sie wohl beobachteten. Das taubenblaue Kleid, das sie von Staub befreit hatte, raschelte bei jedem Schritt. Die Haare hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken mit einer Seidenschnur gebändigt. Keiner der Gürtel, die sie besaß, schien ihr festlich genug, also hatte sie kurzerhand eine fliederfarbene Borte von einem Vorhang abgetrennt. Ob Tanía mich so überhaupt erkennen würde? , dachte sie. Oder würde sie mich ohnehin erschießen, wenn sie sähe, dass ich zur Lady gehe? Das unangenehme Kribbeln im Nacken kehrte zurück, als sie sich Gewehrläufe vorstellte, die jedem ihrer Schritte folgten wie wachsame Hunde. Bitte nicht jetzt, betete sie im Stillen, Bitte nicht in der nächsten Stunde, lass die Rebellen noch lange genug mit dem Angriff warten!
Und noch eine weitere Sorge machte ihr zu schaffen: In den wenigen Stunden unruhigen Schlafs war kein Ruf des Prinzen zu ihr gedrungen. Er lebt , beruhigte sie sich. Amber hat es mir gesagt und ich habe ihn selbst gehört.
»Mach ein etwas freundlicheres Gesicht«, ermahnte Jakub sie. »Wir gehen nicht zum Galgen, sondern freuen uns auf die Ehre, unsere Köchin und ihre Mitstreiter verraten zu dürfen, schon vergessen?«
Jade lächelte ihrem Vater nervös zu und nickte. Seine Sicherheit strahlte etwas Tröstliches aus. Und sie musste zugeben, dass sie unendlich stolz auf ihn war. Er hatte sich rasiert und den blauen Samtmantel und helle Hosen angezogen. Jade fand, er sah aus wie ein König, und er trug ein Selbstbewusstsein zur Schau, das sie staunen ließ.
Drohend erhob sich die glatte Palastmauer vor ihnen. Eine Front von Wächtern versperrte den Weg in den inneren Bezirk. Jakub trat, ohne zu zögern, an den ersten Torwächter heran und zückte die Genehmigung mit dem Liliensiegel.
»Jakub Livonius«, sagte er gelassen. »Meine Tochter und ich werden im Palast erwartet.«
Der Wächter brach das Siegel und studierte so lange Jades Gesicht, bis ihr höfliches Lächeln sich wie eine starre Maske anfühlte.
»Durchsuchen!«, bellte der Wächter. Zwei Männer traten vor und tasteten Jakub und Jade nach Waffen ab. Sie durchsuchten sogar Jades Rock und befühlten den Saum, um eingenähte Gegenstände aufzuspüren. Jade war darauf vorbereitet gewesen, aber als ihr jetzt ein Wächter auch noch grob in die Haare griff, musste sie sich beherrschen, still dazustehen und den Mund zu halten. Ihr wurde siedend heiß, als sie daran dachte, dass sie tatsächlich überlegt hatte, die Spiegelscherbe mitzunehmen.
»Weiter!«, rief der Wächter
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