Faunblut
Flammen.
»Deine Mutter sieht wirklich aus wie ein Mensch«, sagte Arif. Jade konnte die unausgesprochenen Gedanken beinahe hören. Jade von den Flussleuten oder Jade das Echo?
Wie so oft an diesem Abend strich sich Arif gedankenverloren über seine geschundene Braue. Bei einer Auseinandersetzung vor der Kirche hatte er ein blaues Auge davongetragen, denn natürlich hatte er sich mit den Jägern angelegt, um in Elanors Nähe zu kommen.
»Ich weiß nicht, was ich weniger glauben kann«, knurrte er. »Dass du zu ihnen gehörst oder dass du den Rebellen geholfen hast.«
Der vibrierende Zorn in seiner Stimme schüchterte sogar Jade ein. Sie dachte an Elanor, die in ihrem Käfig Hunger und Durst litt, und spürte wieder diesen Stich der Scham.
»Es ist, wie es ist«, sagte Jakub trocken. »Jemanden schuldig zu sprechen, hilft uns jetzt nicht weiter. Die Zeit läuft, auch für Elanor. Wenn wir Ben glauben dürfen, sammeln die Rebellen bereits ihre Waffen.«
Jade begegnete Martyns Blick. Zum ersten Mal ahnte sie nicht einmal, was er dachte. Nachdenklich sah er ihr in die Augen, bis sie rot wurde und wegschaute.
»Elanor wurde in Gewahrsam genommen«, sagte Jakub mit Nachdruck. »Gewahrsam! Das sagten sie mir, als ich heute beim Präfekten war. Sie sei lediglich ein Pfand, damit ihr schneller und sorgfältiger arbeitet. Na, wie klingt das? Sobald alle Turbinen wieder laufen, lassen sie Elanor frei.«
»Ein Bluthandel!«, brauste Martyn auf. »Wir brauchen noch mindestens zehn Tage. Und selbst wenn sie Elanor Wasser geben und sie so lange überlebt, glaube ich nicht mehr an die Versprechungen.«
Jade atmete auf. Am liebsten hätte sie Martyn umarmt. Doch Arif schnaubte verächtlich und schob zwei von Jakubs Skizzen zur Seite.
»Wie stellt ihr euch das vor? Was, wenn die Pumpen nicht mehr funktionieren? Oder wenn die Strömung sich geändert hat? Die Jäger beobachten uns – wir können nicht einfach die Fähre nehmen, ohne aufzufallen. Und selbst wenn wir die Pumpen in Gang bekommen, wer sagt, dass der Plan gelingt? Wer sagt, dass der Prinz mit dem Wasserblut erstehen kann?«
»Niemand!«, rief Jade. »Aber eines wird ganz sicher eintreffen, wenn wir es nicht wenigstens versuchen: Die Lady nimmt euch den Fluss. Und Elanor wird nicht die Einzige sein, die leidet.«
Der harte Zug um Arifs Mund vertiefte sich. »Und wenn die Echos zurückkehren? Ertränken sie uns dann im Fluss wie einst die Lady ihre Feinde?«
Das darf nicht wahr sein! , schrie es in Jades Kopf. »Wie kannst du zögern! Elanor wird sterben, hast du das noch nicht begriffen?«
Jakub gab ihr mit einer warnenden Geste zu verstehen, dass sie sich zurückhalten sollte, und sie fuhr mühsam beherrscht fort: »Es geht nicht darum, dem Prinzen wieder zum Thron zu verhelfen, sondern darum, ihn der Lady zu nehmen. Nichts ist, wie es früher war. Damals waren die Echos die Herren der Stadt, aber heute gehört sie den Menschen.«
»Nichts ist, wie es früher war«, murmelte Arif. Es klang bitter und resigniert, und Jade konnte nur ahnen, dass er an seine Eltern dachte und an die Generationen vor ihnen, die der Lady Fluss für Fluss gefolgt waren.
Martyn musterte seinen Bruder von der Seite, Jade merkte ihm an, dass er ebenfalls vor Ungeduld bebte. Sie wusste, als jüngerer Bruder musste er abwarten, was der Ältere entschied, aber in dieser Nacht galten offenbar auch für die Flussleute andere Gesetze.
»Wir können es schaffen«, sagte Martyn. Doch er wandte sich dabei nicht an seinen Bruder, sondern an Jade. »Wenn Arif sich dagegen entscheidet, schön. Dann werde ich mir etwas einfallen lassen. Ich denke nicht daran, der Lady auch nur ein Leben freiwillig zu überlassen.«
Jade und Jakub hielten den Atem an. Arif starrte seinen Bruder an, als hätte er ihn noch nie gesehen.
»Bestimmst du jetzt, was ich zu tun habe?«, donnerte er und stand drohend auf.
Martyn sprang auf und verschränkte die Arme. »Ich sage dir, was ich tun werde. Ich werde mir die Pläne genau ansehen und ein Boot besorgen, das nicht auffällt. Bei den roten Felsen liegt unser Ersatzboot für die kleinere Ladung. Wenn Jakubs Pläne und Beschreibungen stimmen, halten die Leitungen hundert Jahre. Und hier …«, er hob ein Blatt auf und deutete auf einen der Kanäle, »… ist sogar ein Zugang zu zusätzlichen Schleusen.«
»Du warst damals kaum ein Jahr alt«, sagte Arif düster. »Du erinnerst dich nicht daran. Du musstest nicht zusehen, wie die Taucher versucht haben, unsere
Weitere Kostenlose Bücher