Faunblut
endlich.
Die erste Überraschung war das Goldene Tor. Aus der Nähe betrachtet, war es nicht golden, sondern von einem schmutzigen Gelb. Es schien sie mit einem Grinsen aus gefletschten Gittern zu erwarten, und Jade schauderte, als sie es durchschritt und in den schattigen kleinen Innenhof trat. Innerer Bezirk, erster Innenhof, Gang, zweiter Innenhof, Treppe, Audienzräume , betete sie in Gedanken die vor wenigen Stunden auswendig gelernte Litanei herunter, während sie neben Jakub herging.
Und noch etwas beschäftigte sie, obwohl sie den Gedanken bisher erfolgreich verdrängt hatte: Hoffentlich war Faun nicht im Palast. Die Vorstellung, ihm könnte etwas zustoßen, machte sie fahrig und nervös. Der Prinz! , ermahnte sie sich. Denk nur an den Prinzen. Sie konzentrierte sich darauf zu lauschen, nach seinem Ruf zu suchen, und wurde sofort ruhiger.
Der Palastbezirk war eine andere Welt. Im Inneren des kleinen Hofes, den sie nun durchschritten, schienen sich sogar die Geräusche zu verändern. Draußen auf dem Markt hallte jedes Wort klar wider, hier dagegen war alles weich und dumpf. Hinter verschleierten Fenstern konnte Jade Bewegungen nur erahnen. Bogengänge waren zu sehen, steinerne Galerien, die zu den Festräumen führten.
»So sah der ganze Palast früher aus«, murmelte Jakub ihr zu. »Hinter den Bogengängen im großen Innenhof befinden sich die alten Räume.«
Jade legte den Kopf in den Nacken und zählte fünf Stockwerke. Irgendwo hinter diesen Mauern befand sich der Prinz, doch als sie sah, wie groß der Palast war, sank ihr Mut. Wird das Wasser genügen? Und was, wenn Martyn und Arif es nicht schaffen?
An einer schmalen Tür zeigte Jakub seine Genehmigung noch einmal vor und sie wurden eingelassen und mussten warten. Endlich erschien ein alter Diener und bat sie, ihm zu folgen.
Jade hatte erwartet, Musik zu hören oder Menschenstimmen, doch im Palast war es still wie in einer Gruft. Es gab keine Aufzüge, ihre Schritte hallten auf der Treppe. Die Gänge waren lang und grau, nichts wirkte prächtig. Alles war stumpf und warf kein Licht zurück, die einst spiegelnden Wände und Böden waren aufgeraut worden, die Decken schwarz gestrichen, die Schleier vor den Fenstern milchig weiß.
»Wartet hier«, sagte der Diener und wies auf eine hohe Flügeltür. Jakub nickte und der Mann verschwand eilig. Der Klang seiner Schritte wurde rasch von den Wänden verschluckt. Jade schloss die Augen. Kein Zeichen, sie hörte und spürte nichts. Im Geiste sah sie die Uhr ticken und wurde nervös. Die wattedichte Stille, die sie umgab, machte es noch schlimmer. Als hätten ihre Befürchtungen nur auf einen ruhigen Moment gewartet, erhoben sie gleichzeitig die Stimme zu einer misstönenden Aufzählung aller möglichen Katastrophen.
»Was ist, wenn sie uns doch zusammen befragen?«, flüsterte Jade.
»Das wäre das erste Mal«, erwiderte Jakub. »Mich kennen sie, natürlich werden sie mich hereinrufen. Ich werde versuchen, sie mindestens eine halbe Stunde hinzuhalten. Aber mehr Zeit werden wir nicht haben. Lass uns beten, dass Arif und Martyn es schaffen.« Die Besorgnis in seiner Stimme steckte sie an. Vorsichtig sah er sich um und beugte sich so weit zu ihr, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. »Hör genau hin. Ist er wirklich hier? Ruft er dich?«
Jade biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß nicht«, antwortete sie vage.
Sie wollte ihm noch so viel sagen, aber Jakub legte mahnend den Zeigefinger über die Lippen. Jetzt hörte sie es auch: harte Stiefelsohlen, die im Gleichtakt auf dem Boden aufschlugen.
Es waren vier Lords, gefolgt von einer Gruppe von Jägern. Sie kamen den Gang entlang wie ein Trauerzug, der allerdings viel zu schnell lief. Ihre schwarzen Gewänder hoben sich kaum von den Wänden ab, nur die Gesichter wirkten hell wie Masken. Die Einzige, die tatsächlich eine Maske trug, war die Lady in ihrer Mitte.
Jade bekam auf der Stelle weiche Knie. Es passiert. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Sie hatte die Lady unzählige Male in ihren Albträumen gesehen und von Weitem auf der goldenen Barke. Dort hatte sie groß und furchteinflößend gewirkt, umso überraschter war Jade nun, eine schlanke Frau mit dem geschmeidigen, schnellen Schritt einer Jägerin zu sehen. Rotes Haar floss über schwarzen Stoff und umrahmte die eiserne Maske. Wie eine Totenmaske , dachte Jade.
»Eine halbe Stunde«, raunte Jakub ihr zu. Ihre Hände fanden sich für eine Sekunde zu einem kurzen, ermutigenden Händedruck,
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