Faunblut
hangelte sich, ohne zu zögern, zum Tuch, schlang die Beine darum und ließ sich hinuntergleiten. Mit einem Sprung kam sie auf dem Boden auf und ging um den Stier herum zu ihrem Hund. Sie blickte nicht einmal zurück. Jade konnte es nicht fassen. Kein Dankeswort, kein Abschied, nichts!
Oder ist das ihre Art, mich laufen zu lassen?
Jade rappelte sich mit weichen Knien auf, hielt sich am Fensterrahmen fest und kletterte dann, so schnell sie konnte, in das leere Zimmer zurück.
*
Es dauerte mehrere Stunden, bis sie sich aus ihrem Versteck wagte. Wie Tanía war auch sie durch die zweite Tür gegangen, war dem Pfad von Geheimzeichen in ein anderes Haus gefolgt und in ein Kohlelager gelangt, in dem nur noch die schwarzen Spuren an Wänden und Boden an seinen früheren Zweck erinnerten. Erst in der Abenddämmerung kletterte sie aus einem Kellerfenster und stellte fest, dass sie ein ganzes Stück vom Palastviertel entfernt war. Zur Kirche zurückzugehen und Ben zu suchen, wagte sie nicht, also schlich sie in größtmöglichem Bogen in Richtung Fluss. Jakub würde vor Sorge darüber, wo sie blieb, sicher schon halb wahnsinnig sein. Immer noch kribbelte ihr ganzer Rücken beim Gedanken daran, dass ein Tiger oder ein Bär der Jagd entkommen sein könnte. Und wenn sie stehen blieb und lauschte, meinte sie zu hören, wie ein anderer Schritt mit einer Verzögerung verharrte. Ein leichterer Schritt, der ganz sicher nicht von einem Tier stammte. Jade trat der Schweiß auf die Stirn. Mit nervösen Fingern holte sie ihre Spiegelscherbe hervor. Ganz von selbst wurde sie schneller, und einmal, als sie in eine Gasse einbog und dabei einen Blick über die Schulter warf, war sie für einen bangen Herzschlag lang völlig sicher, etwas zu sehen, eine gleitende, unmenschlich flinke Bewegung, vielleicht sogar den Umriss einer Gestalt.
Bleib stehen! , befahl sie sich. Du hast das Echo gerufen und gesucht. Jetzt tritt ihm gegenüber!
Ihre Beine und ihr feiges Hasenherz schienen anderer Meinung zu sein und auch die Spiegelscherbe in ihrer Hand war plötzlich nichts weiter als ein nutzloses Stück beschichtetes Glas. Und wenn es gar nicht stimmt? , dachte sie. Wenn die Echos den Spiegel gar nicht erkennen?
Dennoch blieb sie stehen und wandte sich langsam um. Schritt für Schritt ging sie auf die Straßenecke zu. Es kostete sie mehr Mut, als sie gebraucht hatte, um den Schutz der Glaskirche zu verlassen, um jetzt einen Blick auf die Straße zu werfen. Doch dort, wo eben noch kochende Dunkelheit gelauert hatte, war nur noch leerer Schatten.
Jade atmete auf und drehte sich um. Vor Schreck machte sie einen Satz nach hinten. An der Hauswand lehnte mit verschränkten Armen Tanía.
»Auch schon auf dem Heimweg?«, bemerkte sie mit einem trockenen Lächeln.
Jade hoffte, die Rebellin würde nicht bemerken, dass ihr Puls immer noch panisch pochte.
»Ja. Und?«, erwiderte sie so ruhig wie möglich.
Tanía zuckte mit den Schultern. »Ruk war erfolgreich.«
Zehn der Lords. Jade schloss für einen Moment die Augen. Wieder übermannte sie das Gefühl, auf einem schwankenden Floß zu stehen, krampfhaft darum bemüht, nicht in die Tiefe gerissen zu werden. Als sie die Augen wieder aufschlug, musterte Tanía sie immer noch. Und zum ersten Mal gestand Jade sich ein, dass sie dasselbe fühlte, was sich in Tanías Miene nur zu deutlich abzeichnete: der Anflug von Feindseligkeit.
»Was?«, fuhr Jade sie an.
»Nichts«, gab Tanía spitz zurück. »Ich überlege nur, ob du noch weißt, wo links und wo rechts ist.«
»Kommt ganz darauf an, von welcher Seite des Flusses man es betrachtet«, antwortete Jade kühl. »Aber auf jeder Seite leben Menschen, nicht wahr?«
Tanía schüttelte mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf. »Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall, Prinzessin Larimar.« Sie drehte sich um und verschwand im Dunkeln.
Prinzen und Narren
In dieser Nacht kamen die Echos zu ihr. Sie wusste, dass es ein Traum war, dicht unter der Oberfläche des Schlafs spürte sie, wie sie versuchte wegzulaufen, doch ihr Körper zuckte nur, und der Schrei, den sie auszustoßen glaubte, war nur ein Stöhnen im Schlaf. Es waren vier. Sie waren in Lumpen gehüllt, die ihnen nicht passten. Zufällig zusammengeklaubte Fetzen, Stücke von Planen und Netzen, und darunter Samt, gestohlen von einem Lord. Die Gestalten kreisten sie ein, glitten und wirbelten um sie herum. Und Jade drehte sich atemlos um sich selbst, die Scherbe in der Faust.
»Ich bin es doch«, rief
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