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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Spiegelungen waberten übereinander, fanden sich und trennten sich wieder. Hypnotische Muster aus rötlichen Lichtreflexen und der Dunkelheit des beginnenden Abends. Und mitten darin: ihr besorgtes Gesicht auf der glänzenden Haut des Flusses. Augen, die blinzelten, ein Mund, der sich öffnete, Arme, die ihr zuwinkten! Im ersten Augenblick erschrak sie, doch dann hätte sie vor Erleichterung und Freude am liebsten aufgeschrien.
    »Du bist wieder da!«, flüsterte sie. Es war, als wäre ein lang vermisster Teil ihrer selbst zurückgekehrt.
    »Zweieinhalb Minuten!«, rief Martyn. »Hoch mit ihnen!«
    Die Winde quietschte, Seile schleiften, der Schlitten tauchte erst als Ahnung, dann als Schemen und schließlich ganz klar sichtbar aus dem Wasser auf. Die Taucher schnappten nach Luft und hielten triumphierend zerschnittene Seile in die Höhe. Jade sah nicht hin, viel zu sehr machte sie sich Sorgen darum, die Wasserbewegung und die Wellen könnten das Spiegelbild vertreiben. Doch das Mädchen war noch da. Es lachte und streckte die Hand nach ihr aus. Dann berührten sich ihre und Jades Fingerspitzen schon an der Grenze zwischen Wasser und Luft.
    »Jade, nein!«, hörte sie jemanden rufen.
    Hand lag an Hand und das Bild lächelte. Wie kalt es ist! , dachte Jade erstaunt.
    Eisige Finger packten sie so fest am Handgelenk, dass sie vor Überraschung aufschrie, dann verlor sie schon den Halt. Kopfüber stürzte sie in die Wila. Der Schock lähmte sie, Nässe drang durch ihre Kleidung, Wasser brannte in ihren Augen, aber sie riss sie auf, während sie mit aller Kraft versuchte, nach oben zu rudern. Und da waren plötzlich auch andere Hände, sie spürte es ganz deutlich: Sie zupften an ihren Ärmeln, sie drehten sie im Strudel. Verschwommene, transparente Gesichter wirbelten um sie herum. Spätestens jetzt hätte Jade in Panik geraten müssen, aber seltsamerweise war sie nur verwundert. Sie versuchte, die Gesichter zu erkennen. Luftblasen kitzelten an ihrem Hals. Erst als ein Arm sie um die Taille packte und ihr die Luft abschnürte, begann sie, sich zu wehren und um sich zu treten. Ihre Hand traf auf eine Taucherbrille, und sie begriff, dass einer der Taucher sie nach oben gezogen hatte.
    »Hör auf!«, schrie Cal ihr ins Ohr. Sofort gab sie ihren Widerstand auf. Diesmal waren es reale Hände, die sie packten und hochzogen. Ihre Rippen schrappten über Holz, dann saß sie hustend an Deck. Cal wollte ihr auf die Beine helfen, doch Martyn stieß ihn zur Seite. Er war blass, aber seine Augen glommen vor Wut. »Du bist doch kein Anfänger!«, polterte er los. »Du weißt, dass du das Wasser nicht berühren darfst! Und hier, über den Abgründen, ist es besonders gefährlich. Hier wimmelt es von Vipern. Und sogar die Muränen kommen an dieser Stelle an die Oberfläche.«
    »Ich weiß«, schrie Jade zurück und würgte noch mehr Wasser heraus. »Aber da waren keine Vipern. Da waren Hände!«
    Martyn schüttelte den Kopf. »Das war nur die Strömung. Es gibt Wirbel hier. Wenn sie stark sind, fühlt es sich an, als ob tausend Hände nach dir greifen.«
    »Es waren Hände!«, beharrte sie.
    Doch die Taucher sahen sich nur ratlos an.
    *
    Der Sommerabend war lau und windstill. Jade konnte sich nicht erklären, warum sie immer noch fror. Sie war mit dem schwarzen Beiboot zum Larimar zurückgefahren und hatte es in der Nähe des Hotels vertäut. Morgen früh würde sie es zurückbringen. Und während sie die letzten Meter nach Hause lief, barfuß, mit dem Schuh, den sie nicht im Wasser verloren hatte, in der Hand, klapperten ihre Zähne. Die Kleider klebten unangenehm auf der Haut. Die Lichter im vierten Stock brannten wieder, doch die Blauhäher waren nirgends zu sehen. Jade wollte schon auf die Tür zustürzen, doch dann zögerte sie. Sie konnte und wollte Jakub nicht gegenübertreten. Nicht jetzt, frierend und nass. Und auf Lilinns Kommentare konnte sie ohnehin verzichten. Also schlich sie um das Haus herum bis zum Rohr, das auf der Westseite des Hauses zur Dachrinne führte. Sie steckte sich den Schuh in den Gürtel und kletterte zu dem winzigen Fenster im ersten Stock. Es war nicht schwer, das Glas, das sie für genau solche Notfälle nur lose befestigt hatte, einzudrücken und das Fenster aufzumachen.
    Heute ging sie nicht in ihren Raum mit dem Ebenholzbett, sondern schlich zum Zimmer mit dem Marmorbad. Als sie auf Zehenspitzen den zerschlissenen Teppich im Flur entlangging, hörte sie von unten ein Heulen, das gedämpft durch

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