Faunblut
Ziegelstein in der Mauer, dorthin, wo Tanía oder ein anderer Rebell sie finden würde.
*
Schwarzer Rauch lag über der Stadt und strafte den Sonnenhimmel Lügen. Es roch nach dem Pulverdampf der Explosionen, und als Jade einen Blick zur anderen Seite des Flusses warf, entdeckte sie neue Ruinen. Die Fassaden der Häuser am Fluss waren zerstört worden. Eine Mauer war in den Fluss gerutscht, Wirbel bildeten sich an dem Staudamm aus zerbrochenen Marmortrümmern. Gerade als Jade sich mit schwerem Herzen von diesem Anblick abwenden wollte, sah sie in der Ferne einen wohlvertrauten Umriss auf dem Wasser. Die Feynals! Sie fuhren flussaufwärts, genau auf die Greifenbrücke zu. Jades Herz begann zu rasen.
Lass es , redete ihre vernünftige Stimme ihr ein. Geh zurück ins Larimar. Am Ufer stehen sicher Posten.
Aber dann spähte sie auf die Uferstraße und huschte in Richtung Greifenbrücke. Sie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie es hinter sich klicken hörte.
»Stehen bleiben!«, rief eine warnende Stimme. Jade erstarrte auf der Stelle.
»Hände hoch. Umdrehen!«
Sie gehorchte, obwohl ihr die Knie zu versagen drohten. Es gab schlimme Zufälle. Und es gab Katastrophen. Das hier gehörte eindeutig zu Letzteren. Vor ihr stand der Jäger mit der vernarbten Augenbraue. Der Kerl, der Jakub sein Gewehr gegen die Schläfe gedrückt hatte. Eine Jägerin, die Jade noch nie gesehen hatte, stand neben ihm. Jade versuchte, normal zu atmen, doch es gelang ihr nicht besonders gut. Blitzartig spielte sie alle Möglichkeiten durch. Erkannte der Kerl mit der Narbe sie? Würde er sie gleich erschießen? Dann hätte ich zumindest keine Möglichkeit mehr, die anderen zu verraten. Oder – und diese Möglichkeit trieb ihr den Schweiß auf die Stirn – würde sie in einer Menagerie landen?
Der Narbige senkte das Gewehr und betrachtete sie abschätzig. »Was suchst du hier?«, bellte er.
»Ich will zu den Flussleuten«, brachte Jade mit einiger Mühe heraus. Der Narbige sah sich um und spähte zum Fluss. Die Fähre war inzwischen auf Rufweite herangekommen. Jade konnte Arif erkennen, der vorne am Bug stand.
»Aha, und wer bist du?«, fragte die Jägerin scharf, das Gewehr immer noch im Anschlag.
»Jade Livonius. Hotel Larimar. Ich helfe oft bei den Flussleuten auf dem Schiff aus. Sie kennen mich.«
»Livonius?«, sagte die Jägerin und senkte zu Jades Überraschung das Gewehr.
»Jetzt weiß ich, woher ich deine Fratze kenne«, sagte der Narbige. »Du treibst dich ja öfter in der Nähe der Kirche herum, was?«
Jade hielt die Luft an. Die Möglichkeit, davonzukommen, erschien ihr so ungeheuerlich und unmöglich, dass sie überzeugt war zu träumen. Erst als der Narbige tatsächlich sein Gewehr neben seinem Stiefel aufstützte und mit einem Rucken des Kinns zur Greifenbrücke deutete, begriff sie, dass Moiras Einfluss weiter reichte, als sie je vermutet hätte.
»Hau schon ab!«, knurrte der Jäger. »Und lass dich hier nicht mehr blicken.«
Das ließ sich Jade nicht zweimal sagen. Sie machte kehrt und rannte auf die Greifenbrücke. Als sie schwer atmend genau am Scheitelpunkt ankam, konnte sie sehen, dass die Jäger sie immer noch beobachteten.
Zum Glück hatte Arif sie bereits entdeckt, denn einen Pfiff hätte sie nun sicher nicht zustande bekommen. Die Fähre schob sich auf die Brücke zu, die hölzerne Spitze in einem silbergrünen V, das in Wellen zu den beiden Ufern zerfloss.
Jade wartete, bis die Fähre unter die Brücke glitt, dann schwang sie sich über das steinerne Brückengeländer und sprang.
Der Aufprall war härter, als sie vermutet hatte, aber als sie auf der schwimmenden Insel angekommen war, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sicherheit!
»Was suchst du denn hier?« Arif stand mit verschränkten Armen vor ihr.
»Patrouille«, japste Jade. »Sie haben mich angehalten. Und ich habe ihnen gesagt, dass ich bei euch aushelfe.«
Die Jäger wurden kleiner und kleiner, und auch die Stadt entfernte sich, als die Fähre dem sanften Bogen des Flusses folgte. Die anderen Flussleute hatten sich um sie geschart. Martyn war nicht darunter und auch nach Elanor suchte Jade vergeblich.
»Ist Martyn nicht an Bord?«
Arif sah sich um. »Martyn!«, rief er.
Jades Mund wurde ganz trocken. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie ihren Freund zögernd herantreten sah. Sein Gesicht war hager geworden und seine Miene war härter denn je. Zum ersten Mal, seit sie die Brüder kannte, sahen sie sich wirklich
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