Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
sich bei ihrem Anblick wieder abwenden würde, aber er schaffte es, ihr sogar flüchtig zuzulächeln.
    »Genug geschlafen, Jade?«, fragte er. Früher hätte er sie Fee genannt, doch auf manchen Wegen, das hatte Jade seit gestern begriffen, gab es kein Zurück mehr, und der Weg nach vorne war unbequem und voller Schlaglöcher. Aber immerhin schien Martyn trotz seines verletzten Stolzes entschlossen zu sein, ihn mit ihr gemeinsam zu gehen. Nach den vergangenen zwei Tagen war das wie ein unerwartetes, unendlich kostbares Geschenk.
    Es hatte Nachteile, auf der Fähre keine Privatsphäre zu haben. Aber an Tagen wie diesen hatte es auch Vorteile. Da ohnehin jeder wusste, wie es um Jade und Martyn stand, mussten sie niemandem etwas vormachen. Es gab keine Kommentare und keine bedeutungsvollen Blicke. Niemand verurteilte Jade, niemand stellte sich auf Martyns Seite. Arif teilte Jade lediglich ihre Aufgaben zu, dann machten sie sich alle wieder an die Arbeit, als wäre nichts gewesen.
    Es war ein wenig so, wie nach Hause zu kommen, und Jade stellte fest, dass es tatsächlich möglich war, die quälende Erinnerung an Faun zumindest zu ertragen, indem sie sich mit aller Kraft darauf konzentrierte, nur an den nächsten Handgriff zu denken.
    Immer wieder blickte sie verstohlen zum Wasser und versuchte, die Gesichter von Echos darin zu entdecken. Stärker denn je spürte sie heute die Verbindung zu dem Mädchen. Und als ihr Spiegelbild ihr einmal kurz zunickte, fühlte sie sich ein wenig getröstet.
    So vertraut und eingespielt die Zusammenarbeit mit Martyn auch war, so unsicher war Jade, wie weit sie mit dem, was sie zu ihm sagte, gehen durfte. Als er eine seiner ironischen Bemerkungen machte und sie mit gerunzelter Stirn darüber nachgrübelte, ob sie kontern sollte oder nicht, begannen Cal und Nama zu grinsen. »Nicht so viel denken, Jade!«, rief Nama ihr zu. »Im Wasser hätte dich jetzt längst die Muräne geschnappt!«
    Nur Arif, der seine Sorge um Elanor keine Sekunde lang vergessen konnte, lachte nicht mit, sondern warf einen besorgten Blick zu den Jägern, die die Fähre vom Ufer aus beobachteten.
    *
    Die Strömung wurde stärker und machte es den Tauchern schließlich unmöglich, zum Grund zu gelangen. Der Schlitten wurde trotz seines Gewichts abgetrieben, und die Seile, die die Fähre an Ort und Stelle hielten, strafften sich, bis das Boot ächzte. Schließlich gab Arif entnervt das Zeichen, die Tauchgänge zu beenden. Die Stimmung war düster, selbst Cal war an diesem Abend nicht nach Scherzen zumute. Erschöpft legte er sich in seine Hängematte und schlief auf der Stelle ein. Jade hatte gehofft, dass Martyn sich zu ihr setzen würde, aber er gab ihr nur ein kurzes Zeichen, nicht auf ihn zu warten, und verschwand im Lagerraum. Während die anderen sich daranmachten, Ersatzteile zurechtzufeilen und einzufetten, hockte Jade sich am Bug unter die Laterne und starrte ins Wasser. Die Spiegelungen waren dunkel, sich selbst konnte sie nur als Umriss sehen, also schloss sie die Augen und spürte den Echos nach. Sie rief sich die Gesichter aus ihrem Traum ins Gedächtnis. Kein Körper , flüsterte die Stimme des Mädchens, und der misstönende Schrei der vier Echos schien wieder in Jades Kopf zu hallen. Seufzend tastete sie nach der Spiegelscherbe. Das Muster der feinen Risse in der Oberfläche, beinahe wie ein Spinnennetz – irgendwo hatte sie es schon einmal gesehen. Nachdenklich fing sie das Licht der Lampe mit der Scherbe ein und betrachtete das Blitzen in ihrer Handfläche.
    Holz knarrte, als jemand an sie herantrat. Sofort verbarg sie die Scherbe in der Hand. Im ersten Augenblick hoffte sie, Martyn habe es sich überlegt und würde ihr doch noch Gesellschaft leisten, aber zu ihrer Überraschung war es Arif.
    »Suchst du immer noch nach Echos, Jade?«, fragte er und setzte sich neben sie. »Martyn hat mir erzählt, dass du ihnen begegnet bist.«
    Jade versteifte sich unwillkürlich. Natürlich sprachen die beiden Brüder über alles, warum fühlte sie sich also so unbehaglich dabei, dass Martyn dieses Gespräch nicht für sich behalten hatte? Oder habe ich mich so sehr daran gewöhnt, Geheimnisse zu hüten, dass es mir schon seltsam vorkommt, Vertrauen zu haben? , dachte sie.
    »Ja, manchmal glaube ich, sie zu sehen«, erwiderte sie. »Dort!« Sie deutete auf eine Reflexion neben der Ankerleine. Waren es nicht schemenhafte Züge und gläserne Hände? Gestalten, die wie Ertrunkene weit unter der Wasseroberfläche

Weitere Kostenlose Bücher