Faunblut
holen.«
Sie wollte gerade das Seil von der Leiter lösen, als Martyn sie mit einem leisen Pfiff zurückhielt. Er stützte sich auf der Reling auf, schwang sich einfach darüber und landete sicher und ohne balancieren zu müssen direkt vor ihr im schwankenden Boot. Seine Haut duftete nicht nach Winter und Moos, sondern nach Salzluft und Sonne. Und zum ersten Mal war er ihr so fremd, dass sie völlig verunsichert war.
Er musterte sie lange, und sie fragte sich, wo der Junge geblieben war, den sie so gut zu kennen glaubte. Nun, die alte Jade ist ja ebenfalls verschwunden. Ein Mann mit Mitternachtsaugen hat sie mir gestohlen.
»Du weinst«, stellte Martyn fest. Wie immer schaffte er es, mit einem einzigen Satz ihre ganze Verteidigung zum Einsturz zu bringen. Ihre Wut auf sich selbst wich einem jähen Gefühl der Leere und plötzlich war sie nur noch unendlich müde. Wem mache ich hier etwas vor? , dachte sie niedergeschlagen.
»Es ist vorbei«, sagte sie leise. »Ich habe ihn geküsst, ja, und mehr als das. Ich habe ihn geliebt. Aber es ist vorbei.« Der ganze Kummer stürzte auf sie zurück, ein gallebitterer Geschmack nach Niederlage im Mund, und dazu auch noch ein heißer Stein in ihrer Kehle, der ihr das Atmen fast unmöglich machte.
Martyn seufzte. »Tja«, meinte er trocken. »Dann weißt du ja jetzt wenigstens, wie es sich anfühlt.«
Die Könige der Stadt
Die Erschöpfung war schnell zu kalten schauern geworden und die Schauer rissen sie in ein Tal verstörender Träume. Gesprächsfetzen tauchten auf und Martyns ungläubiges Kopfschütteln, als sie ihm von den Echos berichtet hatte. »Warum siehst nur du sie im Fluss? «, hallte seine Frage in ihrem Kopf nach. »Und das Mädchen hat wirklich zu dir gesprochen?« Sie fürchtete, ihm auch von den Rebellen erzählt zu haben, und schreckte aus ihrem Dämmerzustand hoch. Doch als sie erkannte, dass sie in Elanors Hängematte lag, umgeben vom wohlig-vertrauten Geräusch des Wassers, das mit leisem Schlag gegen die Bordwand schwappte, sank sie in einen Schlaf, der eher einer Ohnmacht glich. Es war nicht gut aufzuwachen, denn dann erschien sofort Fauns Gesicht vor ihr, und der ganze Kummer kehrte mit solcher Wucht zurück, dass ihre Zähne klapperten wie im Fieber.
»Na, dich hat die Liebe aber wirklich krank gemacht«, hörte sie irgendwann Namas Stimme und fühlte eine flusskalte Hand auf ihrer Stirn. Jade blinzelte. Ihre Kehle brannte vor Durst, und natürlich traf die Wirklichkeit sie auch diesmal so unmittelbar, als hätte ihr jemand einen Trog mit schmutzigem Waschwasser ins Gesicht geschüttet. Und als sie sich vorsichtig streckte, stöhnte sie unwillkürlich auf. Kein Knochen schien mehr am richtigen Platz zu sitzen und die Muskeln brannten bei der kleinsten Regung.
»Blaue Flecken und Prellungen, was?«, sagte Nama mitfühlend. »Und du bewegst dich, als hättest du dir eine Menge Muskeln gezerrt. Ehrlich gesagt siehst du aus, als hätte dich jemand die Treppe hinuntergeworfen.«
»So ähnlich war es auch«, sagte Jade niedergeschlagen und nahm die bauchige Lederflasche mit Wasser entgegen, die die Taucherin ihr anbot. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Tageslicht durch die Luke fiel und die anderen Hängematten leer waren.
»Schon so spät?«, murmelte sie. Immer noch fühlte ihr Kopf sich an, als sei er mit glimmenden Sägespänen gefüllt. Sie drückte die Handballen fest gegen die Augenhöhlen, bis zumindest der pochende Kopfschmerz etwas nachließ. Dafür tat ihr die verletzte Hand wieder weh.
Nama strich sich das Wasser aus dem glatten Haar. »Spät? In zwei Stunden geht die Sonne schon wieder unter – du hast den ganzen Tag geschlafen.«
Den ganzen Tag? Jade setzte sich hastig auf und schwang die Beine aus der Hängematte. »Ist Elanor wieder da?«
Die Taucherin schüttelte bekümmert den Kopf. »Arif war heute Morgen beim Präfekten. Von dort aus hat man ihn zum Zehnthaus geschickt. Die Leute, die auf eine Befragung warten, sind im Lager des Zehnthauses untergebracht worden und dürfen noch nicht gehen, für den Fall, dass sie aufgerufen werden. Aber sicher kommt Elanor morgen wieder zurück.«
Jade bekam auf der Stelle ein ungutes Gefühl, aber sie erwiderte nichts.
»Was ist nun?«, fragte Nama betont munter. »Hast du vor, hier noch länger deine Wunden zu lecken? Oder leistest du uns an Deck Gesellschaft? Martyn und Arif warten schon auf dich.«
*
Martyn hatte offenbar nicht viel besser geschlafen als sie. Fast erwartete sie, dass er
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