Faunblut
verbarrikadierte Fenster und zerschossene Fassaden. Der Kellereingang, den sie gesucht hatte, war ebenfalls vernagelt. Jade schlich zu einem Kellerfenster, nahm ein Stück Mauerstein, das wie zufällig dort lag, und schickte damit ein Klopfzeichen durch ein Rohr, das sie durch das Fenster erreichen konnte. Kaum zehn Minuten später hörte sie im Nebenhaus eine Tür klappen. Es war Leja. Sie winkte Jade hektisch zu. Kurze Zeit später standen sie Schulter an Schulter in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Hauswänden, unsichtbar für die Bewohner und auch von der Straße aus nicht zu entdecken. Leja zog sich den grünen Mantel eng um den Körper. »Was machst du denn hier?«, wisperte sie. »Wir dachten, du bist bei den Flussleuten!«
»Das war ich auch, aber ich muss so schnell wie möglich zu Tanía und den anderen!«
Leja schüttelte den Kopf. »Keine gute Idee. Sie ist gerade nicht gut auf dich zu sprechen. Sie haben Ruk verhaftet.«
»Ruk?« Jade erinnerte sich an den kräftigen Taucher mit der knarrenden Stimme und musste schlucken. Ruk hatte sie trotz seiner mürrischen Art gemocht.
Leja nickte bedrückt. »Sie haben ihn verhört und er muss einige Namen verraten haben. Deshalb haben Tanía und die anderen das Versteck gewechselt.« Jade wurde auf der Stelle heiß. Sie wusste, dass ihr Leben auf Messers Schneide stand, aber so deutlich hatte sie es noch nie gespürt. Noch war mein Name nicht darunter , sagte sie sich. Sonst hätten die Jäger mich längst verhaftet.
»Und Nell?«, fragte sie mit banger Stimme. »Ben? Geht es ihnen gut?«
»Nell ist auf Erkundungstour«, sagte Leja. »Und Ben ist bei uns.«
Jade atmete auf. Wenigstens eine gute Nachricht. »Bring mich zu ihnen.«
Leja kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe herum. Jade verlor auch den letzten Rest von Geduld und packte sie bei den Schultern. »Wir haben keine Zeit für Zweifel. Bring mich zu ihnen. Ich weiß, wo der Winterprinz ist!«
Als neuer Unterschlupf diente ein zugemauerter, nur durch eine durchbrochene Wand zugänglicher Tiefkeller. Zwanzig Leute konnte Jade im Schein einer Kerze erkennen, aber in der Dunkelheit mochten noch einige mehr ihr Lager aufgeschlagen haben. Es roch nach verbrauchtem Atem und Angst, nach Kleidung, die seit Tagen nicht gewechselt worden war, und nach Essensresten. Verschlafen blinzelten ihr die Menschen entgegen, als Leja Jade in den Raum führte. Es war ein seltsames Gefühl, den Rebellen zu begegnen. Irgendetwas hatte sich verändert. Die Blicke waren kühl, keiner begrüßte sie, alle blickten sie nur misstrauisch an.
»Sieh an, Prinzessin Larimar verlässt ihre sichere Insel im Fluss und beehrt uns!«
Jade spähte nach rechts und entdeckte Tanía. Sie kauerte auf einem Nachtlager aus alten Mänteln. Und gleich neben ihr, wach und aufrecht, saß Ben!
»Allerdings, und ich habe Neuigkeiten!«, sagte Jade. Hier klang auch ihre Stimme dumpf und hohl. Sie stieg über liegende Körper und drückte sich an der Wand entlang, bis sie vor Tanía stand. Die Anführerin musterte sie immer noch ohne ein Lächeln. Lediglich Ben machte den kühlen Empfang dadurch wett, dass er sie angrinste. Jade kniete sich vor Tanía auf den festgestampften Lehmboden.
»Neuigkeiten, so?«, meinte Tanía trocken. »Nun, vielleicht kennen wir sie ja schon?«
Jade seufzte. »Leja hat mir von Ruk erzählt. Und von den anderen, die erschossen wurden. Es tut mir so leid.«
Ein flüchtiger Schmerz huschte über Tanías Gesicht.
»Alle Echos tot«, flüsterte Ben bekümmert. »Gestern das letzte von ihnen erschossen. Und der Winterprinz auch. Die Lady feiert ein Blutfest und triumphiert über ihre Feinde.«
»Alle Echos? Woher wollt ihr das wissen?«, fragte Jade.
»Du bist nicht die einzige Spionin, die Kontakte zum Hof hat«, erwiderte Tanía. »Wir haben überall Verbündete, und sie haben uns bestätigt, dass es wahr ist. Es ist kein einziges Echo mehr in der Stadt.« Jade wollte widersprechen, aber Tanía hob die Hand und gebot ihr mit einer herrischen Geste zu schweigen. »Sie sind besiegt. Also brauchen wir einen neuen Plan.«
Jetzt erkannte Jade, was in der veränderten Stimmung und der Feindseligkeit mitschwang: Hoffnungslosigkeit.
»Es ist nichts verloren«, rief sie. »Ich weiß jetzt, dass …«
»Bring sie endlich zum Schweigen!«, schrie einer der Rebellen. »Es ist vorbei, jetzt können wir uns nur noch auf uns selbst verlassen.«
Jade sprang auf und wandte sich um. »Nichts ist vorbei! Der Winterprinz
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