Faust: Der Tragödie zweiter Teil
ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.
Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
Erst wünschenswert, gegründet, dauerhaft!
Verschwinde mir des Lebens Atemkraft,
Wenn ich mich je von dir zurückgewöhne!—
Die Wohlgestalt, die mich voreinst entzückte,
In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne!—
Du bist's, der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,
Dir Neigung, Lieb', Anbetung, Wahnsinn zolle.
MEPHISTOPHELES:
So faßt Euch doch und fallt nicht aus der Rolle!
ÄLTERE DAME:
Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.
JÜNGERE:
Seht nur den Fuß! Wie könnt' er plumper sein!
DIPLOMAT:
Fürstinnen hab' ich dieser Art gesehn,
Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.
HOFMANN:
Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.
DAME:
Wie häßlich neben jugendreinem Bild!
POET:
Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.
DAME:
Endymion und Luna! wie gemalt!
DERSELBE:
Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken,
Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
Beneidenswert!—Ein Kuß!—Das Maß ist voll.
DUENNA:
Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!
FAUST:
Furchtbare Gunst dem Knaben!—+
MEPHISTOPHELES:
Ruhig! still!
Laß das Gespenst doch machen was es will.
HOFMANN:
Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.
DAME:
Sie sieht sich um! Das hab' ich wohl gedacht.
HOFMANN:
Er staunt! Ein Wunder ist's, was ihm geschieht.
DAME:
Ihr ist kein Wunder, was sie vor sich sieht.
HOFMANN:
Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.
DAME:
Ich merke schon, sie nimmt ihn in die Lehre;
In solchem Fall sind alle Männer dumm,
Er glaubt wohl auch, daß er der erste wäre.
RITTER:
Laßt mir sie gelten! Majestätisch fein!—
DAME:
Die Buhlerin! Das nenn' ich doch gemein!
PAGE:
Ich möchte wohl an seiner Stelle sein!
HOFMANN:
Wer würde nicht in solchem Netz gefangen?
DAME:
Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen,
Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.
ANDRE:
Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.
RITTER:
Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste;
Ich hielte mich an diese schönen Reste.
GELAHRTER:
Ich seh' sie deutlich, doch gesteh' ich frei:
Zu zweiflen ist, ob sie die rechte sei.
Die Gegenwart verführt ins übertriebne,
Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
Da les' ich denn, sie habe wirklich allen
Graubärten Trojas sonderlich gefallen;
Und wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier:
Ich bin nicht jung, und doch gefällt sie mir.
ASTROLOG:
Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann,
Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
Entführt er sie wohl gar? +
FAUST:
Verwegner Tor!
Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel!
EMPHISTOPHELES:
Machst du's doch selbst, das Fratzengeisterspiel!
ASTROLOG:
Nur noch ein Wort! Nach allem, was geschah,
Nenn' ich das Stück den Raub der Helena.
FAUST:
Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
Er führte mich, durch Graus und Wog' und Welle
Der Einsamkeiten, her zum festen Strand.
Hier fass' ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
So fern sie war, wie kann sie näher sein!
Ich rette sie, und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter! müßt's gewähren!
Wer sie erkannt, der darf sie nicht entbehren.
ASTROLOG:
Was tust du, Fauste! Fauste!—Mit Gewalt
Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn!—Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
MEPHISTOPHELES:
Da habt ihr's nun! mit Narren sich beladen,
Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
2. Akt—Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer
MEPHISTOPHELES:
Hier lieg, Unseliger! verführt
Zu schwergelöstem Liebesbande!
Wen Helena paralysiert,
Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
Blick' ich hinauf, hierher, hinüber,
Allunverändert ist es, unversehrt;
Die bunten Scheiben
Weitere Kostenlose Bücher