FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
auf eine Kreuzfahrt nach Alaska. Wirtschaftsminister Herbert Hoover war an Bord des Schiffes, als es am 4. Juli am Puget Sound in See stach. Präsident Harding bestellte ihn zu einer Unterredung in seine Kabine. Hoover gab das Gespräch in seinen Memoiren wieder.
»Wenn Sie von einem großen Skandal in Ihrer Regierung wüssten«, fragte Harding, »würden Sie ihn zum Wohl des Landes und der Partei an die Öffentlichkeit bringen, oder würden sie ihn unter den Teppich kehren?« Der Skandal, so ließ er durchblicken, gehe vom Justizministerium aus. »Bringen Sie ihn an die Öffentlichkeit«, riet Hoover. Der Präsident meinte, das wäre »ein politisches Wagnis«, und »verstummte abrupt«, als Hoover fragte, ob Daugherty der Übeltäter sei. [101]
Harding starb vier Wochen danach, am 2. August 1923, im Palace Hotel in San Francisco an Herzversagen. Er war 57 Jahre alt. Sein Nachfolger wurde der aufrechte Calvin Coolidge, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, der sich mit der Niederschlagung des Bostoner Polizeistreiks landesweit einen Namen gemacht hatte. Coolidge war ein trockener, strenger Mann, aber er besaß moralische Grundsätze. Die brauchte er auch: Die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten war auf ihrem Tiefpunkt seit dem Ende des Bürgerkriegs angelangt.
Wie die Schäden nach der Flut zeigte sich nach und nach das ganze Ausmaß des Verfalls. Die Senatoren Walsh und Wheeler stellten Ermittlungen über die schlimmsten Skandale an, obwohl Daugherty und Burns alles daransetzten, dies zu verhindern. Mit dem Auftrag, den Senatoren irgendeine Strafsache anzuhängen, schickten sie mindestens drei Agenten des Bureau nach Montana. Gegen Wheeler konstruierten die Agenten einen Bestechungsfall. Anklage und Strafverfolgung basierten offensichtlich auf Schwindel und Meineid. Die Geschworenen sprachen ihn rasch frei.
Schließlich kam die Wahrheit doch ans Licht. Die Regierung Harding war bis in die höchste Ebene mit Männern besetzt, denen es allein um den eigenen Profit ging, die Regierung und Gesetz mit Füßen traten und das amerikanische Volk täuschten. Innenminister Albert Fall hatte über 300000 Dollar Bestechungsgelder von Ölfirmen angenommen. Dafür ließ er sie die strategischen Ölreserven der Marine in Elk Hills, Kalifornien, und Teapot Dome, Wyoming, anzapfen. Das Justizministerium hatte von dem Skandal Wind bekommen, eine Untersuchung jedoch verhindert. Ein weitere Affäre: Der Leiter des kürzlich gegründeten Veterans Bureau, Charles Forbes, ein Poker-Kumpel von Harding, hatte Millionenprovisionen von Baufirmen eingestrichen. Thomas Miller, ein Beamter im Justizministerium, hatte Bestechungsgelder von Firmen angenommen, die an ihr eingefrorenes Vermögen herankommen wollten. Und wie Jahre später herauskam, hatte Justizminister Daugherty dabei mindestens 40000 Dollar eingesteckt.
Als Senator Wheeler bekanntgab, er und seine Kollegen seien im Visier von Agenten des Bureau gewesen, war der politische Aufschrei groß, und die Öffentlichkeit teilte die Empörung. Am 1. März 1924 beschloss der Senat, Ermittlungen gegen das Justizministerium einzuleiten. John H. W. Crim, der Leiter der Criminal Division, war ein bereitwilliger Zeuge. Er stand nach 18 Jahren im Justizministerium – er hatte auch eine Weile für das Bureau gearbeitet – kurz vor seiner Pensionierung. Sein Rat an den Senat war unverblümt: »Schaffen Sie sich das Bureau of Investigation in seiner derzeitigen Organisationsform vom Hals.« [102]
Die Senatoren luden Daugherty vor und verlangten Einsicht in die internen Akten des Bureau. Daugherty widersetzte sich der Aufforderung, und das war sein Verderben. Nach wochenlangem Druck gab Präsident Coolidge am 28. März den Rücktritt des Justizministers bekannt. Daugherty wurde schließlich wegen Betrugs angeklagt, blieb jedoch von einer Haftstrafe verschont, weil es bei der Urteilsfindung zweimal zu einem Patt kam. Dass Daugherty einer Verurteilung entging, verdankte er dem Fünften Verfassungszusatz, wonach ein Angeklagter nicht gegen sich selbst aussagen muss.
Präsident Coolidge ernannte einen neuen Justizminister: Harlan Fiske Stone, den langjährigen Dekan der Columbia Law School, eine Säule der Rechtswissenschaft und Coolidges Freund aus Studientagen. Stone war nach eigenem Bekunden kein Liberaler, aber ein standhafter Verfechter der Bürgerrechte. Er war ein entschiedener Kritiker der Razzien gegen die Kommunisten von 1920 gewesen und hatte den Senat angehalten,
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