Fear
nicht, doch sie brachte ein »M-hm« zustande.
»Siehst du? Es gefällt mir nicht, dass ich gezwungen bin, es so zu machen, aber ich kann nicht anders. Da kann keiner was dafür. Es ist nun mal so. Das ist eine von diesen Situationen, in die man irgendwie reinschlittert und aus der man dann nicht mehr rauskommt.«
»Du wirst mich umbringen.«
Er atmete hörbar ein. »Warum sagst du das? Ich bin doch nett zu dir, oder nicht?«
»Lass mich gehen.«
»Das kann ich nicht. Nicht jetzt.«
»Wann denn?«
»Ich weiß es nicht. Lass uns … lass uns einfach sehen, wie es so läuft, okay?« Als ob sie darüber diskutierten, ob sie für die nächste Phase ihrer Beziehung bereit waren.
Sie spürte, wie er sich in der Dunkelheit bewegte. Er stand auf, klopfte sich den Staub von den Knien. Der Luftzug kühlte die Tränen auf ihrem Gesicht.
»Du hast das schon mal gemacht.«
»Was?«
»Da ist ein Blutfleck an der Wand.«
Schweigen. Sein Atem ging schwerer; er keuchte fast, als ob er seinen Mut für den nächsten Schritt zusammennehmen müsste. Er könnte sie jetzt töten, wenn er wollte. Aber wenn er es täte, würde es ihr etwas ausmachen?
»Die Frau vor mir, hast du die gehen lassen?«
Er rührte sich nicht. Sie lebte noch. Er gab einen Laut von sich, den sie als leises Lachen identifizierte. »Bist du Anwältin?«
»Kommt drauf an. Lass mich gehen, lass mich mein Studium abschließen, dann werde ich vielleicht Anwältin.«
Das war natürlich Quatsch. Hatte sie ihm erzählt, was sie studierte? Würde ihn das überhaupt interessieren?
Er sagte nur: »Das wirst du vielleicht.«
»Wie hieß sie, die Frau vor mir?«
»Kamile. Kamila. So ähnlich jedenfalls. Ausländisch.«
Widerwille schwang in seiner Stimme und in ihrer auch. »Du hast sie umgebracht, und jetzt kannst du dich nicht mal mehr an ihren Namen erinnern?«
»Ich hab sie nicht umgebracht. Sie ist gestorben.«
»Wie lange hast du sie festgehalten?«
»Nicht lange. Sie hat die ganze Zeit gejammert und geheult. Hat mich wahnsinnig gemacht.«
»Hast du Kamila versprochen, dass du sie wirst gehen lassen?«
»Ja, aber Ruhe gegeben hat sie trotzdem nicht. Aber ich hätte sie gehen lassen.«
»Und warum …?«
»Darum«, sagte er, und im ersten Moment dachte Jenny, das sei alles. Nur ein Wort, die Antwort eines trotzigen Kindes.
Darum.
Dann sagte er: »Darum, weil sie versucht hat, sich mit mir anzufreunden, genau wie du es tust. Als das nicht funktionierte, hat sie mich verspottet. Sie sagte, ich hätte nicht den Mumm, es durchzuziehen. Also habe ich ihr eine Lektion erteilt.«
»Du hast sie umgebracht, um zu beweisen, dass du dazu fähig bist?«
»Ich hab dir doch gesagt, ich hab sie nicht umgebracht. Sie ist gestorben. Das ist ein Unterschied.« Er schnaubte. »Das wirst du noch lernen.«
52
Der Sonntag begann mit einer Panik. Um acht Uhr hämmerte Cadwell an die Tür. Leon war noch nie ein Langschläfer gewesen, aber das ging ja wohl zu weit …
Er tappte die Treppe hinunter und sah Opie, den Mann von der Nachtschicht, zur Tür eilen. Opie sah fürchterlich aus – noch beschissener, als Leon sich fühlte.
»Du hast wieder an deinem Schreibtisch gepennt.«
»Hab ich nicht, Leon, ehrlich«, sprudelte Opie hervor. »Ich war auf dem Klo.«
»Ist Glenn schon auf?«
»Keine Ahnung. Hab ihn nicht gesehen.«
Cadwell kam hereinmarschiert und ruderte mit den Armen, um die Dringlichkeit des Problems zu demonstrieren.
»Ins Büro«, sagte Leon, weil Opie nicht zum inneren Kreis gehörte.
Kaum war die Tür zu, drehte sich Cadwell zu ihm um und stieß mit hochrotem Gesicht hervor: »Jemand hat mich ausspioniert!«
»Was? Wo?«
Cadwell sah ihn an, als ob er beschränkt wäre; ein Blick, den Leon nicht vergessen würde.
»Letzte Nacht. Irgendein Eindringling ist auf das Dach vom Behandlungsraum gestiegen, während ich dein verdammtes Opfer auf dem Tisch hatte.«
»Nicht so laut. Herrgott noch mal.« Leon wollte sich nicht von Cadwells Hektik anstecken lassen. Er ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. »Und du bist sicher, dass da jemand auf dem Dach war?«
»Ben war bei mir. Wir haben es beide gesehen. Er hat einen Mann weglaufen sehen.«
»Gibt es eine Beschreibung?«
»Nein. Zu dunkel.«
Joe , dachte Leon. Aber er sagte es nicht. Er reizte die Pause aus, starrte den Bestatter nur kühl an, bis dieser sich entnervt aufs Sofa plumpsen ließ.
»Du hattest also eine Leiche auf dem Tisch. Na und? Die Bullen sind nicht aufgekreuzt, nehme
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