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Fear

Fear

Titel: Fear Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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stand am nächsten von den drei Fahrzeugen. Joe dachte nicht erst lange nach, sondern schnellte hoch und setzte über die Lücke hinweg. Er landete auf der Ecke des Wagendachs und kauerte sich zusammen, kaum dass seine Zehen das Blech berührten, klatschte mit den Händen flach auf das Dach, warf die Beine über die Kante und ließ sich fallen wie ein Turner beim Abgang vom Barren.
    Aber er landete nicht gerade wie ein Turner, sondern knickte ungeschickt mit dem Knöchel um. Er unterdrückte ein Stöhnen und rannte los über den Hof, als er hörte, wie die Doppeltür hinter ihm geöffnet wurde. Eine wütende Stimme rief: »Wer ist da?«
    Also hatten sie ihn nicht richtig gesehen, wenn überhaupt. Gott sei Dank.
    Joe lief weiter, bis er nur noch knapp fünfzig Meter vom B&B entfernt war, getrieben vom Adrenalin, das die Nachwirkungen des üppigen Mahls und des Weins vergessen ließ. Das letzte Stück legte er gehend zurück und fluchte dabei halblaut vor sich hin, voller Wut, dass ein Mann in seinem Alter sich auf so eine tollkühne, törichte Aktion einlassen konnte. Erst als er die Haustür erreichte, fing er an zu lachen.
    51
    Diesmal war alles irgendwie anders, als er hereinkam. Der Ansatz von Routine, den er etabliert hatte, war dahin.
    Und er war anders. Kaum hatte er die Zelle betreten, da spürte Jenny auch schon die Energie, die ihn durchströmte. Die Gerüche, die er mitbrachte, waren eine Mischung aus Essen, Alkohol und Nikotin, aus Schweiß, Angst und Gewalt.
    Er war aufgedreht, erregt, aber auch nervös, als sei er knapp einer Gefahr entgangen und könne noch nicht recht fassen, dass er sie überlebt hatte. Sie hatte das Bild eines Mannes vor sich, der nach einer Massenkarambolage über die Autobahn wankt, sich zu den Wracks umdreht und die Leichen derer erblickt, die weniger Glück hatten als er.
    Seine ersten Worte waren: »Bevor du fragst: Es ist drei Uhr früh. Mitten in der Nacht.«
    Tag vier , dachte Jenny. Sie war schon länger hier, möglicherweise viel länger, aber dies war der vierte Tag, seit sie begonnen hatte, die verstreichende Zeit zu erfassen.
    Der erste Satz Batterien hatte sie im Stich gelassen, während sie ihre Zelle abgesucht hatte. Da war ihr die Idee gekommen, dass sie einen dünnen Strich in den Steinboden kratzen könnte, dass sie die Kante einer leeren Batterie benutzen könnte, um einen Kalender einzuritzen.
    Die Batterien ließen sich eventuell noch auf andere Weise einsetzen, wenn sie nur ihr Gehirn zwingen könnte, erfinderischer und konstruktiver zu sein. Sie fürchtete, dass er sie zurückverlangen könnte, aber wohl nicht bei diesem Besuch. Er war mit einer ganz bestimmten Absicht gekommen.
    »Schalt die Taschenlampe ein«, befahl er. »Richte sie auf dich.«
    Er wollte sehen, ob sie sich gründlich genug wusch. Als der Lichtstrahl zittrig über ihren Körper glitt, verriet ihr ein Luftzug, dass er näher getreten war, und sie wusste, warum sie so viele Gerüche seiner Haut wahrnahm.
    Er war nackt. Er war nackt zu ihr gekommen.
    »Schon besser«, brummte er. »Licht aus.«
    Sie gehorchte und wartete schon darauf, dass er sich ihr näherte, doch er blieb, wo er war. Sie lauschte auf seinen Atem, und wieder überkam sie eine gefährliche Anwandlung von Leichtsinn.
    »Warum verbirgst du dein Gesicht?«
    Schweigen.
    »Ich meine, ich habe dich doch schon gesehen. Ich weiß, wer du bist.«
    Schweigen.
    »Ich glaube, du schämst dich. Deswegen willst du nicht, dass ich dich ansehe. Weil du eigentlich ein besserer Mensch bist.«
    Ein Lachen – verächtlich, aber auch amüsiert.
    »Das bist du. Es gibt Menschen, die dich lieben. Deine Familie, deine Freunde. Die könnten sich niemals vorstellen, dass du zu so etwas fähig bist.«
    »Du weißt einen Scheißdreck über mich.«
    »Lass mich gehen.«
    »Darauf bist du also aus.«
    »Kannst du es mir verdenken?«
    Schweigen. Doch Jenny konnte spüren, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Sie stellte sich seine Moral als eine winzige Made vor, die sich in dem vernachlässigten Mutterboden seiner tiefsten Seele ein- und aufrollte. Sie wusste, dass sich irgendwo da drinnen auch Scham verbarg, aber sie wusste auch, dass bei einem Mann wie diesem Scham leicht in rasende Wut umschlagen konnte.
    Als seine Antwort endlich kam, war es gar keine Antwort.
    »Mach die Beine auseinander.«
    Hinterher sagte er in einem Ton, den er vielleicht als zärtlich betrachten mochte: »Das hat dir doch Spaß gemacht, nicht wahr?«
    Jenny traute ihrer Stimme

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