Fear
Nachdem er einige der anderen Gäste begrüßt hatte, wählte er einen Tisch in diskreter Entfernung von seinen Bekannten. Er setzte sich und warf die Beilage einer Sonntagszeitung zur Seite, die jemand dort hatte liegen lassen.
»Kamila ist verschwunden«, sagte Joe. »Alise hat zuletzt Ende August mit ihr gesprochen. Seitdem hat es keinerlei Kontakt mehr gegeben.«
»Tja, da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie hatte mich schon lange vorher sitzen lassen.« Pearse erklärte, dass er eine erfolgreiche Personalvermittlung leite, eine Tätigkeit, die mit häufigen Reisen im In- und Ausland verbunden war. Er hatte mit seiner Familie das Haus in Poundbury und besaß zudem eine Wohnung in London, die er allerdings nicht immer benutzte.
»Ich habe eine erwachsene Tochter aus einer früheren Ehe, die manchmal aufkreuzt und sich ein, zwei Wochen lang häuslich einrichtet, auch wenn es mir gerade nicht so passt. Ich kann meinen Affären nicht frönen, wenn sie da ist, also weiche ich in ein Hotel aus. So habe ich Kamila kennengelernt.«
Er lachte in sich hinein, doch seine Miene war säuerlich. »Verdammt clever, diese osteuropäischen Mädels. Wissen ganz genau, was sie wollen und wie sie es kriegen können. Raffinierte Biester.«
Joe wusste, dass er den Mann nicht gegen sich aufbringen durfte, obwohl er ihm am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt hätte, und so nippte er nur an seinem bitteren Espresso und ließ Pearse weiterreden.
»Nach einer fantastischen Nacht habe ich sie für ein paar Tage nach Gloucestershire eingeladen. Ich habe ein Cottage in Bourton-on-the-Water. Dorthin verziehe ich mich, wenn ich Geschäftsberichte zu schreiben habe oder einfach nur ein bisschen ausspannen muss, ohne dass mir die Gören auf der Nase rumtanzen …« Pearse feixte. »Aber in der Woche bin ich kaum zum Arbeiten gekommen. Eine echte Teufelin im Bett. Hat all die Sachen gemacht, von der meine Alte nie was wissen will. Zu gut, um wahr zu sein, dachte ich – und das war es natürlich auch.«
»Wie meinen Sie das?«
»Eines Morgens wache ich auf, und sie ist weg – mit fast zweitausend Pfund aus meinem Safe, etwas Schmuck und einer Rolex im Wert von noch mal dreitausend.«
Joe war sofort misstrauisch. »Wieso hatten Sie so viel Bargeld dabei?«
»Selbstschutz.« Pearse schnaubte verächtlich. »Wenn das keine Ironie des Schicksals ist, hm? Ich habe erlebt, wie riskant eine vergessene Quittung hier oder ein Kontoauszug dort sein kann. Um sich gefahrlos vergnügen zu können, braucht man nun mal Cash.«
»Wusste Kamila, dass Sie sich mit ihr nur ›vergnügen‹ wollten?«
Pearse sah Joe an, als wäre der ihm in den Rücken gefallen. »Ach, nun kommen Sie schon. Sie können sich doch sicher auch nicht über mangelnde Aufmerksamkeit seitens der Damenwelt beklagen, hab ich recht? Da sollten Sie eigentlich wissen, wie der Hase läuft.«
»Sie haben ihr also nicht gesagt, dass Sie verheiratet sind?«
»Ich bitte Sie, wir reden hier doch nicht über eine unschuldige kleine Jungfrau.«
»Ich habe jedenfalls den Eindruck gewonnen, dass Kamila recht naiv war. Ich frage mich, ob sie dahintergekommen war, dass Sie sie angelogen hatten – vielleicht hat sie das zu dem Diebstahl veranlasst?«
Pearse schnaubte. »Hat sie es ihrer Schwester so verkauft?«
»Ich glaube nicht, dass Alise davon weiß.«
»Na bitte. Sie hatte von Anfang an vor, mich zu bestehlen. Und ich schätze mal, dass das der Grund ist, weshalb Sie seitdem nichts mehr von ihr gehört haben. Seien wir mal ehrlich – diese Mädels sind doch im Grunde alle Huren.«
Als Joe nichts erwiderte, schweifte Pearse’ Blick zu der Zeitungsbeilage ab. Er seufzte wehmütig, als ob sie ihn daran erinnerte, wie er den Tag eigentlich hatte verbringen wollen.
»Ich nehme an, Sie sind nicht zur Polizei gegangen?«, sagte Joe.
»Natürlich nicht. So gesehen ist es ja nicht wirklich viel Geld. Ich hab’s mit Fassung getragen und beschlossen, in Zukunft besser darauf zu achten, mit wem ich ins Bett gehe.«
»Und seit dem Tag, an dem sie sich aus dem Staub gemacht hat, hatten Sie keinen Kontakt mehr mit Kamila?«
Pearse schüttelte den Kopf, doch sein Blick ging zur Seite. »Eigentlich nicht.«
»Also hatten Sie Kontakt?«
Er zuckte gereizt mit den Schultern. »Sie hatte auch ein altes Handy von mir mitgenommen. Ich benutze immer mehrere zur gleichen Zeit und kaufe mir regelmäßig die neuesten Modelle, also hat es ein paar Monate gedauert, bis ich es gemerkt habe. Ich habe
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