Fear
Darstellung klang glaubwürdig, einschließlich des stillschweigenden Eingeständnisses, dass er Kamila angelogen hatte. Joe konnte sich durchaus vorstellen, dass ein Widerling wie Pearse sich als wohlhabender Junggeselle ausgab und einer Frau die Aussicht auf eine feste Beziehung vorgaukelte. Vielleicht hatte Kamila die Wahrheit herausgefunden und sich gerächt, indem sie ihn bestohlen hatte.
Andererseits war sie vielleicht das schwarze Schaf der Familie oder einfach nur eine Frau mit einem ungezügelten Temperament, die fand, dass ihr als Gegenleistung für den Sex mit Jamie Pearse eine handfeste Entlohnung zustand. Wie dem auch sei, Joe bezweifelte jedenfalls nicht, dass sie mit dem Erlös zunächst einmal ein paar Monate durchs Land gereist war, ehe sie in Newquay gelandet war. Vielleicht hatten Scham und Schuldgefühle – und die Furcht vor Strafverfolgung – sie seither davon abgehalten, nach London zurückzukehren.
Aus Joes Sicht hatte er lediglich einige Nachforschungen angestellt, die zu keinen konkreten Ergebnissen geführt hatten, und es war niemand da, dem er hätte berichten können, was er herausgefunden hatte. Damit sollte die Sache erledigt sein.
An einer Raststätte in der Nähe von Okehampton, die er zum Tanken angefahren hatte, kaufte er sich ein Sandwich und eine Cola. Er brauchte fünf Minuten, um sich ein bisschen auszuruhen, die Augen zu schließen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Nachdem sie Pearse bestohlen hatte, war Kamila nicht völlig abgetaucht – sie war noch wochenlang mit ihrer Schwester in Kontakt geblieben. Sie hatte ein Faible für reiche, mächtige Männer, und sie hatte Pearse damit aufgezogen, dass sie einen besseren Kandidaten gefunden habe. In ihrem letzten Gespräch mit Alise hatte sie Trelennan erwähnt und auch Leon Race. Und jetzt schien Alise verschwunden zu sein …
Das waren zu viele Indizien, um die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Aber Diana wollte ihn in ein paar Tagen aus dem Haus haben. Wenn er weitere Nachforschungen anstellen wollte, musste er sich eine neue Unterkunft suchen.
Eine andere Möglichkeit wäre, nach London zu fahren. Vielleicht hatte irgendjemand in dem Hotel, wo Kamila gearbeitet hatte, eine Adresse von Alise. Aber nachdem er in Bristol nur mit knapper Not davongekommen war, erschien es ihm zu gefährlich, ja geradezu selbstmörderisch, sich auch nur in die Nähe des Reviers der Mortons zu wagen.
Als Joe in Trelennan ankam, hatte er noch keine konkrete Entscheidung getroffen. Jetzt musste er sich für eine neuerliche Konfrontation mit Diana wappnen. Sie hatte von permanentem Druck gesprochen. Nun, von diesem Druck konnte sie sich am besten befreien, indem sie mit der Wahrheit herausrückte.
Er schloss die Haustür auf und rief ihren Namen. Aus dem Wohnzimmer kam eine Reaktion. Keine Stimme, sondern ein dumpfer Schlag wie von Glas auf Holz.
Er fand sie zusammengesunken in einem Sessel, den einen Arm angewinkelt auf dem Schoß, den anderen nach dem Couchtisch ausgestreckt, die Finger locker um ein schweres Glas geschlungen, als könne sie sich nicht recht dazu überwinden, es loszulassen. Im Glas waren zwei Fingerbreit Whisky. Eine halb leere Flasche Glenfiddich stand auf dem Tisch.
Mühsam hob sie den Kopf und versuchte den Blick auf ihn zu fokussieren. Ihre Wangen waren rot und feucht von Tränen, ihre Augen verquollen und furchtbar traurig. Man hätte sie für zwanzig Jahre älter halten können als die Frau, die ihm am Dienstagabend die Tür geöffnet hatte.
»O Gott, Diana …« Er war wütend auf sich selbst, weil sie im Streit auseinandergegangen waren, doch Diana schüttelte nur den Kopf.
»Glenn«, sagte sie und presste dann die Lippen aufeinander. Ein Schauder durchfuhr sie. Das Glas glitt ihr aus der Hand und fiel auf den Boden, und der Single Malt schwappte heraus.
»Na, komm.« Joe half ihr auf, als Diana plötzlich Anzeichen von Panik zeigte. Mit unbeholfenen, unkoordinierten Bewegungen drängte sie ihn zur Eile, als er sie zur Toilette führte. Sie schafften es keine Sekunde zu früh.
Er hielt sie fest, während sie sich übergab, streichelte ihr sanft den Rücken und redete beruhigend auf sie ein. So etwas hatte er schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Nicht mehr, seit er aufgehört hatte, seinen Töchtern ein Vater zu sein.
Als sie fertig war, wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser, und er reichte ihr ein Handtuch. Sie wischte sich den Mund und versuchte zu lächeln, brachte es aber nicht
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