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Fear

Fear

Titel: Fear Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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Verwirrung, Angst und Selbstekel. War heute der fünfte Tag oder immer noch Tag vier? Wie lange hatte sie geschlafen? War es nur ein Nickerchen gewesen oder eine ganze Nacht?
    Unmöglich zu sagen. Sein letzter Besuch war mitten in der Nacht gewesen, das hatte er jedenfalls behauptet. Später war ihr aufgefallen, dass sie wach gewesen war, als er kam. Das bedeutete, dass ihr Schlafrhythmus völlig aus dem Gleichgewicht geraten sein musste.
    Seit diesem Besuch hatte sie mindestens einmal geschlafen, möglicherweise aber auch zweimal, und jetzt hatte sie absolut keine Vorstellung, wie spät es war. Ihr kostbarer Kalender war schon jetzt wertlos.
    Und der nächste Besuch war längst überfällig. Das konnte sie am Zustand des Eimers ablesen, an dem Geruch, den sie permanent in der Nase hatte. Es musste irgendein Problem geben, irgendeine Krise oder eine Unterbrechung seiner eigenen Routine, die unweigerlich Folgen für sie hatte.
    Wäre sie in der Stimmung gewesen, aus dieser Situation irgendeinen Trost zu ziehen, hätte sie sich sagen können, dass sie jetzt immerhin Bescheid wusste. Wie hatte er es formuliert?
    Ich habe sie nicht umgebracht. Sie ist gestorben.
    Sie hatte den Unterschied nicht begriffen. Aber es spielte auch praktisch keine Rolle, solange das Endergebnis das gleiche war.
    Jetzt schien es ihr, als stünde sie vor einer simplen Wahl: Entweder den Tod zu akzeptieren – dann wäre es besser, gleich zu versuchen, sich das Leben zu nehmen, anstatt ihm die Entscheidung zu überlassen, wann und auf welche Weise sie das Zeitliche segnete.
    Oder Flucht.
    Nichts wie raus hier.
    So kurz und knackig formuliert klang es fast wie ein Kinderspiel. Jedenfalls machbar. Einfach einen Plan fassen und sich an die Arbeit machen. Sie war nicht angekettet. Sie war immer noch relativ fit, obwohl sie schon seit Tagen hier eingesperrt war. Immer noch einigermaßen bei Kräften.
    Und sie hatte ein funktionierendes Gehirn, nicht wahr? Dann sollte sie es auch benutzten.
    Sie hatte Licht, und sie hatte einen Satz leere AA-Batterien, mit denen sie gerade einmal einen Strich in den Steinboden ritzen konnte. Aber nichts wirklich Scharfes. Nichts, was sie als Waffe oder Werkzeug verwenden konnte.
    Dann such dir eben was …
    Eine weitere gründliche Suche blieb ergebnislos. Die Tür war aus Holz, dick und schwer und glänzend lackiert. Der Fußboden bestand aus nacktem, unbehandeltem Beton, absolut undurchdringlich. Die Decke war mit Sperrholz verkleidet, die Wände grob verputzt. Es gab keine Ritzen, keine Löcher, keinerlei offensichtliche Schwachstellen.
    Sie unternahm einen Versuch, mit einer der leeren Batterien ein Loch in den Putz zu kratzen, doch sie brachte nur ein bisschen Staub ins Rieseln. Dann hatte sie eine Art Geistesblitz.
    Sie nahm den Eimer und goss das schmutzige Wasser vorsichtig über eine Stelle an der Wand in der Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war. Indem sie den Putz durchfeuchtete und dann mit der Batterie darüberkratzte, konnte sie nach und nach die oberste Schicht abtragen und sehen, was sich darunter verbarg.
    Was sie fand, war Gipskarton und darunter grobe gelbe Holzlatten. Es war Ständerwerk, keine Backstein- oder Betonblockwand.
    Jenny hatte schon Ständerwerk gesehen. Sie wusste, wie es aufgebaut war, und sie war wie elektrisiert.
    Denn bei Ständerwerk gab es Lücken zwischen den Holzlatten.
    Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, ohne auf die Schmerzen in ihren zerkratzten Händen und die abgebrochenen Fingernägel zu achten. Sie arbeitete sich vor bis zur Kante der vertikalen Latte, befeuchtete und kratzte und scharrte, bis der Gipskarton nachgab und das Loch schließlich so groß war, dass sie die Hand hindurchstecken konnte. Jetzt kam sie wesentlich schneller voran und riss die Füllung in Stücken aus dem Rahmen.
    Aber dann hielt sie inne. Es war ihr bewusst, dass sie vor einer kritischen Entscheidung stand. Von jetzt an würde sie den Schaden nicht mehr verbergen können. Sie musste sicherstellen, dass ihre Mühen nicht vergebens waren.
    Sie musste fliehen.
    Durch das faustgroße Loch sah sie nichts als Dunkelheit. Sie leuchtete lange mit der Taschenlampe hinein, während sie angestrengt nachdachte. Da fehlte doch etwas. Irgendetwas stimmte nicht.
    Sie griff in das Loch. Was sie da tastete, ließ sie zurückprallen. Es war weich und warm und ein wenig schwammig. Eine Art wattiertes Gewebe. Sie zog eine Handvoll heraus, schnupperte daran und betrachtete es im schwächer werdenden Schein

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