Fear
räusperte sich. »Es wird Sie freuen zu hören, dass Reece beschlossen hat, Sie nicht wegen Körperverletzung anzuzeigen. Das Gleiche gilt für Todd.«
Joe zuckte mit den Achseln. »Die zwei haben eindeutig Streit gesucht. Ich habe nur reagiert.«
»Nun ja, dazu gibt es widerstreitende Auffassungen. Aber es genügt wohl festzuhalten, dass ein solches Verhalten in Zukunft nicht mehr toleriert werden wird. Das haben Sie hoffentlich verstanden?«
»Vollkommen.«
Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Joes Gemütsruhe schien Fenton aus der Fassung zu bringen. Schließlich sagte er: »Gut. Wir wollen diese Angelegenheit als erledigt betrachten. Nun, ich habe mir den Dienstplan noch nicht angesehen, aber ich denke schon, dass wir heute Arbeit für Sie haben.«
Das Telefon klingelte. Fenton hob ab und bat den Anrufer, sich einen Moment zu gedulden.
Er wandte sich an Joe. »Glenn wird bald zurück sein. Holen Sie sich inzwischen einen Kaffee, und entweder er oder ich werden etwas für Sie arrangieren.«
Als Joe aufstand, war über ihnen ein leises, hohes Geräusch zu vernehmen. Joe runzelte die Stirn, und Fenton murmelte: »Das ist nur der Wind.«
Joe verließ das Büro und machte die Tür hinter sich zu. Er überlegte gerade, dass er doch recht glimpflich davongekommen war – fast zu glimpflich –, als er das Geräusch wieder hörte: ein langgezogener, schriller Schrei.
Manchmal machte der Wind so ein Geräusch, dachte er, wenn die Luft mit hoher Geschwindigkeit durch einen engen Hohlraum wehte. Aber das war hier nicht der Fall.
Was er gehört hatte, war der Schrei einer Frau.
72
Joe rannte die Stufen hinauf. Oben war ein breiter Treppenabsatz, von dem nach links und rechts Flure abzweigten. Von hier war ein halbes Dutzend Türen zu sehen, alle geschlossen.
Er hielt inne, und erste Zweifel beschlichen ihn. Keine Minute war seit Fentons Warnung vergangen, und schon beschwor er den nächsten Ärger herauf.
Der nächste Laut war ein klägliches Fiepen wie von einem geprügelten Tier. Es kam aus dem zweiten Zimmer rechts. Joe schlich sich vorsichtig an. Er packte den Türknauf, drehte ihn und spürte keinen Widerstand.
Er trat zur Seite, als er die Tür öffnete, um kein leichtes Ziel abzugeben. In dem breiter werdenden Ausschnitt kamen ein hellgrüner Teppich und ein antiker Toilettentisch zum Vorschein. Darüber hing ein großer Spiegel, in dem Joe ein Doppelbett mit kunstvoll verziertem Messinggestell erblickte. Eine Frau lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Bett, mit Lederriemen an die vier Ecken gefesselt. Man hatte ihr einen Knebel aus Stoff in den Mund gesteckt und diesen mit Klebeband befestigt, doch es war ihr gelungen, ihn so weit zu lockern, dass sie sich bemerkbar machen konnte.
Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wie die Tür geöffnet wurde. Sie war splitternackt; eine junge Frau, mager und mit großen, unnatürlich festen Brüsten. Auf der Innenseite des Oberschenkels hatte sie einen kleinen Vogel tätowiert, auf der linken Brust ein weiteres, aufwendigeres Schmetterlingstattoo.
Joes Instinkt sagte ihm, dass niemand sonst in der Nähe war, doch er war darauf gefasst, einen Angriff abzuwehren, als er ins Zimmer stürmte. Es war leer. Das einzige andere Möbelstück war eine Kommode mit abblätterndem Lack. In einer Ecke war ein Waschbecken, doch er sah keine Badtür. Keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Er schloss die Tür und hob einen Finger an die Lippen, um sie zu ermahnen, still zu sein. »Es ist alles in Ordnung. Ich werde Sie losbinden.«
Die Frau schien ihm zu vertrauen, doch er sah immer noch Panik in ihren Augen. Er zog das Klebeband von ihrem Mund ab, worauf sie den Knebel ausspuckte und nach Luft rang.
»Schnell! Bevor Leon zurückkommt!«
»Leon ist hier?«
Sie nickte. »Bis vor ungefähr zehn Minuten.«
Joe nahm sich zunächst die Riemen an ihren Füßen vor. Die Knoten waren dick und schwer zu lösen. »Wie lange werden Sie schon gefangen gehalten?«
»Seit gestern Abend. Bitte, beeilen Sie sich«, sagte sie.
Endlich hatte er den Knoten entwirrt, und ihr linker Fuß war frei. Er ging zur nächsten Ecke und merkte plötzlich, wie die Frau sich anspannte. Die Tür ging auf.
Joe drehte sich um und stand hilflos da, als Leon Race das Zimmer betrat. Er schien nicht im Mindesten überrascht, Joe zu sehen. Vielmehr wirkte er hocherfreut.
Und er hielt eine Pistole in der Hand.
Es war eine Glock 9mm. Natürlich hätte es auch eine Attrappe sein können. Viele Kriminelle
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