Fear
ihn an.«
Sie betraten das Wohnzimmer. Alise wurde von zwei Männern aus dem Team bewacht, das sie gekidnappt hatte, Reece und Todd. Leon gab Reece ein Zeichen, während Fenton sich auf ein Sofa niederließ und mit seinen gewaltigen Hinterbacken hin und her ruckelte, bis er bequem saß.
Das Mädchen ließ ein kehliges Wutschnauben hören, das zu einem schrillen Schrei wurde, als sie ihr das Klebeband vom Mund rissen.
»Hör auf, so einen Krach zu machen«, warnte Leon sie. Er kniete sich vor ihr auf die Plastikfolie und sah ihr direkt in die Augen. Sie zuckte zurück. Der Stuhl knarrte und wackelte, und er dachte schon, sie würde ihn umkippen. Aus der Nähe konnte er ihre panische Angst riechen. Er konnte sehen, wie sie mit aller Kraft dagegen ankämpfte.
»Du bist hier, weil du nicht aufhörst, Lügen über mich zu verbreiten.«
»Es sind keine Lügen!«, schrie sie. Und dann spuckte sie ihn an: eine so trotzige und zugleich sinnlose Geste, dass sie ihn vollkommen überrumpelte.
Der Speichel landete auf seiner Nase und Wange; Leon fühlte, wie er auf seiner Haut abkühlte. Die rasende Wut stieg in ihm auf wie eine Art Übelkeit, die ihn überwältigte. Er holte mit der Faust aus und schlug ihr mitten ins Gesicht.
Roy Bamber hatte seinen Ausstand im Festsaal eines Pubs im Bezirk Westminster gefeiert. Es war eine wilde, ausgelassene Party, und alle waren betrunken – wie nicht anders zu erwarten, wenn eine Schar von zumeist altgedienten Polizisten zusammenkam, um den Weggang eines der ihren zu feiern.
Irgendwann im Lauf des Abends waren, begrüßt von lüsternem Gejohle, plötzlich zwei Stripperinnen aufgetaucht. Es war eine Überraschung, organisiert von einer kleinen Gruppe von Roys Kollegen, die für ihre derben Scherze berüchtigt waren. Diana und einige der anderen Ehefrauen waren verständlicherweise weniger begeistert.
Obwohl er sich geschworen hatte, sich zurückzuhalten, kippte Joe am Ende doch einen Whisky nach dem anderen in sich hinein. Es war das Jahr 2003, als seine Töchter noch klein waren und ein freier Abend ein seltenes Vergnügen darstellte, das man gerne einmal exzessiv auskostete. In letzter Minute hatte es ein Problem mit dem Babysitterdienst gegeben, weshalb er allein hingegangen war – was jedoch, wie Joe hinterher klar wurde, keine Entschuldigung war für das, was er getan hatte.
Es war kurz nach Roys sentimentaler, aber rührender Abschiedsrede passiert, in der er keinen Zweifel daran gelassen hatte, wie froh er war, den Dienst quittieren und in Cornwall ein neues Leben beginnen zu können. Bedauerlicherweise hatte er dabei Diana kaum erwähnt – kein Hinweis auf die Stütze, die sie ihm während seiner gesamten Berufslaufbahn gewesen war, oder auf die Rolle, die sie bei seinem spannenden neuen Vorhaben spielen würde.
Die Wirkung des Alkohols hatte bei Joe schlagartig eingesetzt. Er war vor die Tür getreten, um frische Luft zu schnappen, und hatte Diana in Tränen aufgelöst gefunden. Er konnte sich kaum erinnern, worüber sie geredet hatten, aber ein Satz war ihm die ganzen Jahre über im Gedächtnis haften geblieben: »Es ist seine Zukunft, Joe, nicht meine.«
Er hatte sie in den Arm genommen. Im Rückblick war er sich sicher, dass er sie nur hatte drücken wollen, eine harmlose Geste des Beistands. Doch auf die Umarmung folgte ein Kuss und dann noch einer, lang und innig und leidenschaftlich, bis sie sich endlich voneinander lösten, geschockt und schwer atmend, eingeholt von der Realität, als hätte jemand einen Kübel Eiswasser über ihnen ausgeleert.
Hinterher hatten ihn die Schuldgefühle lange verfolgt, wetteifernd mit dem halb eingestandenen Wunsch, es noch einmal zu tun. Aber Joe war glücklich verheiratet und hatte kleine Kinder, und er hatte nicht die Absicht, Helen oder Roy zu hintergehen. Er sagte sich, dass es ein bedauerlicher Fehltritt war, schob es auf den Alkohol und dankte Gott, dass niemand sie gesehen hatte.
Seitdem war nichts mehr in der Art passiert, und tatsächlich hatte Joe in letzter Zeit kaum noch daran gedacht. Aber jetzt, als sie zusammen beim Essen saßen, dachte er unentwegt daran. Diana hatte darauf bestanden, ihm eine warme Mahlzeit zu kochen, ein pikantes Hähnchen-Risotto.
»Das ist wirklich köstlich«, lobte er sie. »So gut hat schon lange niemand mehr für mich gekocht.«
»Hör schon auf«, sagte Diana. »Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, wie das Schicksal dich und Helen auseinandergerissen hat.«
Sie sprachen ein
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