Fear
aufgewachsen, oben am Stadtrand. Heutzutage ist es längst nicht mehr so schlimm dort, aber vor zwanzig, dreißig Jahren war es offenbar die Hölle. Riesenprobleme mit Kriminalität, Drogenmissbrauch und randalierenden Jugendlichen. Er hat sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf gezogen, und er will, dass alle Welt es erfährt.«
»Kann man verstehen. Übrigens, ich dachte mir, dass ich sein Angebot wohl annehme«, sagte Joe. »Wenigstens probeweise, für eine Woche oder so. Wenn du damit kein Problem hast?«
Sie seufzte. »Ist das klug?«
»Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht«, gab er zu. »Es ist ein kalkuliertes Risiko.«
»M-hm.« Diana nickte. Sie wirkte nachdenklich, doch er wusste, dass sie ihre Einwände nicht laut aussprechen würde. Das entspannte Schweigen, das nun folgte, ermutigte Joe zu einem kühnen Schritt.
»Was hat Roy von Leon Race gehalten?«
Die Frage ließ Diana zusammenfahren. Sie stand auf, ging ein paar Schritte und hielt sich die Hand vors Gesicht.
»Sie hatten nicht viel miteinander zu tun.« Sie öffnete den Kühlschrank, nahm einen Becher Joghurt heraus und wandte sich zu Joe um, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Eigentlich so gut wie gar nichts.«
»Und was ist mit Glenn?«
Diana dachte über die Frage nach, während sie den Aludeckel von ihrem Joghurtbecher abzog. »Wir reden normalerweise nicht über seine Arbeit. Ich nehme an, dass Glenn zu ihm aufschaut. Man kann über Leon sagen, was man will, aber es lässt sich nicht bestreiten, dass er etwas aus sich gemacht hat.«
»Und er ist ein großer Fisch in einem kleinen Teich.«
»Ja. So hatte ich das noch nicht gesehen.«
Als sie die Besteckschublade aufzog, um einen Löffel herauszunehmen, war sich Joe sicher, dass er sie murmeln hörte: »Ein Hai.«
Als Joe kurz nach acht aus dem Haus ging, hatte der Regen nachgelassen, und es nieselte nur noch leicht. Er spazierte auf Umwegen in die Stadt und erkundete einige der engen Gassen und Passagen, die quer zur High Street verliefen. In einer davon, zwei Häuserblocks von der Promenade entfernt, stieß er auf Derek Cadwells Beerdigungsinstitut.
Es war in einem bescheidenen zweigeschossigen Gebäude untergebracht mit Jalousien an den Fenstern und nur wenigen dezenten Plakaten, die für die Dienste des Hauses warben. An der Seite war ein mit einem Tor verschlossener Hof, wo ein Leichenwagen und eine weitere Daimler Limousine neben einem einstöckigen Anbau parkten, der vielleicht einmal eine Schmiede gewesen war. Weit und breit war kein Mensch zu sehen; wahrscheinlich war es noch zu früh.
Auf der High Street kam Joe an einem städtischen Fahrzeug vorbei, das die Rinnsteine vom Laub reinigte. Die Stadt erwachte zum Leben, und überall herrschte muntere Betriebsamkeit: Rollläden wurden hochgezogen, Verkaufsstände auf dem Gehsteig aufgebaut; verlockende Düfte wehten aus einer Bäckerei, die bereits rege Geschäfte machte. Man hätte sich fast vorstellen können, dass es ein angenehmer Ort zum Leben und Arbeiten sei.
Es war zehn vor neun, als Joe Leons Anwesen erreichte. Er drückte den Knopf an der Gegensprechanlage. Nach wenigen Sekunden hörte er ein Klicken, und das Torschloss wurde entriegelt.
Die Haustür ging auf, als Joe gemessenen Schritts die Einfahrt durchquerte. Er wurde von dem jungen Mann begrüßt, den er am gestrigen Morgen vor dem B&B gesehen hatte, wie er eine Zigarette geraucht und nach Dianas Pampasgras getreten hatte. Heute trug er eine LRS-Uniform, wirkte aber noch genauso mürrisch und feindselig.
»Sie sind Carter, stimmt’s?«
Joe nickte. »Kann ich Leon sprechen?«
»Er ist nicht da. Soll ich ihm was ausrichten?«
»Sagen Sie ihm, ich nehme das Angebot an«, erwiderte Joe. »Vorausgesetzt, die Bezahlung stimmt.«
Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Die ist so, wie sie ist«, sagte er und knallte die Tür zu.
Joe war ernüchtert. Er hatte sich vorgestellt, dass er die Bedingungen akzeptieren würde und vielleicht sofort mit der Arbeit anfangen könnte. Jetzt wusste er nicht so recht, was er mit dem angebrochenen Tag anfangen sollte, also beschloss er, Alise zu suchen und mit ihr zu besprechen, wie sie am besten an den Exfreund ihrer Schwester herantreten sollte.
Seine erste Station war das Café, doch die einzigen Gäste waren ein Trupp Bauarbeiter. Joe schickte Alise eine SMS, als er wieder auf die High Street hinaustrat: Haben Sie heute Zeit für ein Treffen ?
Die Bücherei hatte geöffnet, aber nun saß eine andere Frau hinter der
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