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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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ich sprach noch einmal meine Großmutter darauf an. »Es bedeutet Glück«, beharrte sie. »Ich wohne bei meinem Sohn und seinen zwei Söhnen. Das ist Glück, Maomao. Das ist das Glück der sechs Zehen.«
    Doch als ich Xiaolan fragte, sagte sie, sie habe von ihrer Mutter gehört, dass das keineswegs Glück verheiße. »Es bedeutet ein grausames Schicksal«, sagte sie.
    Meine Großmutter in Hefei war ganz anders als meine Großmama in Tianjin. Als sie zu uns zog, ging die Hungersnot zwar ihrem Ende zu, Lebensmittel waren aber immer noch knapp. Trotzdem bekam Großmutter jeden Morgen ein Ei – in diesen Zeiten ein seltener Leckerbissen –, weil sie Diabetes hatte und Papa sagte, dass sie es für ihre Gesundheit brauche. Wenn ich morgens meinem Bruder die Milch warm gemacht hatte, briet ich also ein Ei für Großmutter. Das stellte für mich die Welt, wie ich sie bisher kannte, auf den Kopf. In Tianjin war Großmama meine Beschützerin gewesen und hatte sich selbst das Essen versagt, um es mir zu geben. Jedes Mal, wenn ich Großmutter essen sah, lief mir das Wasser im Mund zusammen.
    Als meine Eltern eines Morgens zur Arbeit gegangen waren, briet ich ihr wie immer ein Ei und stellte mich dann ihr gegenüber an den Tisch. Statt es zu essen, rief Großmutter meinen Bruder Yiding und hieß ihn, sich neben sie zu setzen. Dann schnitt sie das Ei in kleine Stücke und fütterte ihn vor meinen Augen damit. Ich konnte das Ei förmlich schmecken und beugte mich vor, um besser zu sehen. Da hielt Großmutter plötzlich inne und fuhr mich streng an: »Geh nach nebenan. Das ist nichts für Mädchen.«
    Es war ungerecht. Aber ich lernte, dass bei uns zu Hause wie anderswo zuerst die Jungen kamen und ganz am Schluss die Mädchen.

Kapitel 8
    A m 8 . Juli 1964 , vier Tage nach Papas Rehabilitierung, erhielten wir von meinem Onkel aus Tianjin ein Telegramm: »Mutter krank. Kommt schnell. Bringt Maomao mit.«
    Ich war begeistert über diese unverhoffte Gelegenheit, Großmama erstmals seit meiner Rückkehr nach Hefei wiederzusehen. Immer wieder hatte ich gefragt, ob ich Großmama denn nicht besuchen oder sie zu uns kommen könne. Mama hatte mir dann stets erklärt, wie teuer eine solche Reise sei – eine Fahrkarte kostete fast einen Monatslohn – und wie schwierig für Großmama, in ihrem Alter noch so weit zu reisen.
    Großmama und der Onkel hatten uns jeden Monat geschrieben. Manchmal hatte Mama mich zu sich gerufen, wenn sie die Briefe las. »Großmama sagt, du fehlst ihr, Maomao.« Mir gab es jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn ich das hörte, und ich bat: »Schreib Großmama, dass sie mir auch fehlt. Und sag ihr, sie soll alle ihre Erdnüsse aufessen.«
    Mama packte ein paar Sachen ein, und am nächsten Morgen stiegen wir in den Zug nach Tianjin.
    Während der Fahrt plapperte ich ununterbrochen. Ich erzählte Mama, was ich Großmama sagen, welche Lieder ich ihr vorsingen und welche Spiele ich mit ihr spielen wollte. Doch Mama war mit ihren Gedanken woanders und nickte nur zerstreut. Ich blieb fast die ganze Nacht über wach, schaute aus dem Fenster, beobachtete die anderen Reisenden, unterhielt mich mit meiner Puppe und schmiedete Pläne für meinen Aufenthalt in Tianjin.
    Als wir am nächsten Morgen in dem Haus in der Glücksgasse eintrafen, begrüßte uns der Onkel mit bedrückter Miene. Ich lief in mein altes Schlafzimmer, um nach Großmama zu sehen. Das Bett war gemacht, ihre Kleider hingen ordentlich in dem alten Schrank, doch von ihr selbst keine Spur. Ich betrachtete mich in dem alten, halb blinden Spiegel und drehte mich lächelnd davor im Kreis, wie ich es früher immer getan hatte. Der vertraute Geruch von Sandelholz stieg mir in die Nase, und ich erkannte auch das Knarzen der Holzdielen wieder, als ich durchs Zimmer ging.
    Mama und die anderen hatten sich in der Diele versammelt. Der Onkel berichtete, dass Großmama wegen ihrer starken Schmerzen ins Krankenhaus gebracht worden war, wo man sie sofort operiert habe. »Dabei wurde festgestellt, dass sie Leberkrebs hat und dass er sich bereits ausgebreitet hat. Sie leidet an inneren Blutungen, und der Arzt meint, man könne lediglich versuchen, die Schmerzen zu lindern. Da habe ich euch telegrafiert.«
    Mama weinte.
    Im Krankenhaus sagte der Onkel, Großmama habe nach mir gefragt. Er habe ihr versprechen müssen, dass Mama mich zu ihr bringen würde.
    »Es war ein Schlag aus heiterem Himmel«, ergänzte eine Tante. »Gerade noch saß sie mit uns zusammen, plauderte

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