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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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nicht mehr da war.

Kapitel 9
    I m Sommer 1965 , ein paar Wochen nach meinem siebten Geburtstag, bekam ich schlimme Kopfschmerzen. Zudem taten mir die Gelenke weh, und ich verlor jeden Appetit. Eine ganze Woche lang ertrug ich diese Beschwerden ohne jede Klage.
    Doch als ich an einem warmen Nachmittag mit Xiaolan im Sandkasten nahe unserer Wohnung spielte, überfielen mich so heftige Kopfschmerzen, dass mir schwindelig wurde. Ich presste die Hände an die Schläfen, damit der Schmerz aufhörte. Vor Angst begann ich zu weinen. Xiaolan nahm meine Hand und brachte mich nach Hause. Dann rannte sie los, um meine Mama von der Arbeit zu holen. Ich kroch ins Bett, zog das Moskitonetz zu und wartete darauf, dass der Schmerz aufhörte.
    Als Mama nach Hause kam, hatte ich außer Kopfschmerzen auch noch hohes Fieber. Mama fühlte mir die Stirn und machte mir feuchte Umschläge. Ich fühlte mich zu krank, um etwas zu essen. In der Nacht ließ der Schmerz zwar nach, aber das Fieber blieb, sodass Mama mich am frühen Morgen anzog und in die Universitätsklinik brachte.
    Wir mussten lange warten, bis mich ein Arzt untersuchte. »Es ist nur eine kleine Virusinfektion, kein Grund zur Sorge«, sagte er, verschrieb mir eine Kräutertinktur und schickte uns nach Hause. Doch die Medizin half nicht. Kopf und Glieder schmerzten nach wie vor, und meine Körpertemperatur schwankte. Ich sagte Mama, dass ich zu krank sei, um am Morgen die Milch zu holen, und so erledigte das mein Bruder.
    Als sie mir die Stirn fühlte, um festzustellen, ob ich immer noch Fieber hatte, murmelte ich: »Mir geht’s ganz schlecht.«
    »Komm, wir gehen wieder ins Krankenhaus«, sagte sie, und ihre Stimme klang sehr besorgt.
    Ich konnte kaum laufen. Schon am Fuß der Treppe fing ich zu weinen an. Ich setzte mich auf die unterste Stufe und stützte den Kopf in die Hände. »Ich kann nicht mehr, Mama«, sagte ich.
    Sie holte einen kleinen Hocker aus unserer Wohnung. Immer, wenn wir ein paar Schritte gegangen waren, stellte Mama mir den Hocker hin, und ich setzte mich darauf. Auf diese mühselige Art legten wir den Weg zur Klinik zurück.
    Der Arzt war nicht gerade erfreut, uns wiederzusehen, und verschrieb mir nach einer oberflächlichen Untersuchung noch mehr Kräutermedizin. Doch wieder hatte sie keine Wirkung, und so kamen wir am nächsten und am übernächsten und auch am darauffolgenden Tag wieder, eine ganze Woche lang. Der Arzt behauptete weiterhin, dass es nichts Ernstes sei. Mein tägliches Erscheinen störte ihn mehr als meine Krankheit. Mein körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends, ich magerte bis auf die Knochen ab.
    Eines Nachmittags saß ich auf meinem Hocker in der Eingangshalle des Krankenhauses und ruhte mich aus, während Mama mich anmeldete. Wir warteten, bis uns eine Schwester ins Untersuchungszimmer rief, wo uns der Arzt erwartete. Er runzelte die Stirn. »Du schon wieder!«
    Mama erklärte ihm, dass ich kaum etwas essen könne und mein Stuhl weiß geworden war. Bei der Arbeit habe sie gehört, dass das Kind einer Lehrerin Hepatitis B bekommen habe. Vielleicht hätte ich mich ebenfalls angesteckt?
    Der Arzt funkelte sie zornig an. »Was weißt du denn schon?«, fuhr er sie mit schneidender Stimme an. »Bist du etwa Ärztin?«
    Mama wurde rot.
    »Nur ich kann dir sagen, was dieses kleine Mädchen hat«, erklärte er. »
Ich
bin hier der Arzt.«
    Mama schwieg. Ich war ganz verängstigt von seinem Wutausbruch und wollte am liebsten gehen.
    Der Arzt ließ sich auf seinem Hocker nieder und begann mich zu untersuchen: Körper, Augen, Ohren, Gaumen, Hals. Außerdem horchte er Herz und Lungen ab.
    »Schau mich an«, sagte er, und ich gehorchte. »Ihre Haut und das Weiß ihrer Augen sind gelblich verfärbt. Sie hat Hepatitis B. Ich überweise sie ins Dashushan-Krankenhaus für ansteckende Krankheiten. Bring sie unverzüglich dorthin.«
    »Ja«, sagte Mama.
    Der Arzt schrieb eine Überweisung, gab sie Mama und ging.
    Der Rückweg dauerte lange, und mir tat alles weh. Menschen liefen an uns vorbei und gafften mich an. »Hast du gesehen, wie dünn sie ist?«, fragten sie einander. Doch dann gingen sie wortlos weiter. Mehrmals wurde mir schwarz vor Augen, und ich klammerte mich an Mamas Hand fest.
    Während Mama in unserer Wohnung ein paar saubere Sachen und meine Puppe in eine Tasche packte, wartete ich am Fuß der Treppe. Da sie zurück zur Arbeit musste, brachte mich Papa ins Krankenhaus.
    »Komm, wir lassen den Hocker hier«, sagte er und half

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