FEED - Viruszone
Moment lang konnte ich ihn bloß anstarren. Dann wandte ich den Kopf langsam Joe und Senator Ryman zu und fragte: »Ist das wahr?«
Joe, dem nun sichtlich unbehaglich zumute war, sagte: »Tja, meine Liebe, wir müssen auf jeden eingehenden Anruf reagieren … «
»Sie hatten unsere Testergebnisse. Sie wussten, dass wir nicht tot waren.«
»Solche Testergebnisse kann man fälschen«, sagte Joe. »Wir haben getan, was wir konnten.«
Ich nickte widerwillig. Wenn man das Gesetz buchstabengetreu auslegte, dann hätte die Seuchenschutzbehörde auch ins Tal kommen, uns niederschießen, die Umgebung sterilisieren und sich anschließend um unsere Überreste kümmern können. Es war ungewöhnlich, dass man uns lebend gefangen genommen und einer ausgiebigen Überprüfung unterzogen hatte, da das ein unnötiges Risiko darstellte – niemand hätte die Entscheidung, uns zu töten, infrage gestellt.
»Warum haben Sie uns am Leben gelassen?«, fragte ich.
Joe lächelte. »Es gibt nicht viele Leute, die wegen eines so drastischen Vorfalls bei uns anrufen und dabei so ruhig klingen, Ms Mason. Ich wollte die Person, die dazu fähig ist, kennenlernen.«
»Unsere Eltern haben uns gut erzogen.« Ich hob mein Kleiderbündel und fragte: »Kann ich mich hier irgendwo umziehen?«
»Kelly!« Joe winkte eine vorbeilaufende Frau im Arztkittel heran. Sie wirkte sehr jung und machte große Augen. Wahrscheinlich war sie nicht älter als Buffy, und ihr langes, mit einer Spange zurückgestecktes blondes Haar erzeugte eine gewisse Ähnlichkeit. Ein Klumpen bildete sich in meiner Kehle.
Joe wies von der Frau auf mich. »Georgia Mason, Dr. Kelly Conolly. Dr. Conolly, könnten Sie Ms Mason bitte zu einem Umkleidezimmer bringen?«
Shaun rutschte von der Anrichte. »Komm, Rick. Ich zeige dir, wo es zur Männerumkleide geht.«
»Besten Dank«, sagte Rick und nahm seine Sachen von der Arbeitsfläche.
»Natürlich, Dr. Wynne«, sagte Kelly. »Ms Mason, hier entlang bitte.«
»Klar.« Ich folgte ihr.
Wir gingen über einen kurzen Flur, der diesmal in einem warmen Gelb gestrichen war, und Kelly öffnete eine Tür zu einem kleinen Umkleideraum mit Schließfächern. »Hier ziehen sich die Krankenpflegerinnen um.«
»Danke.« Ich legte die Hand an den Türknauf und warf ihr einen Blick zu. »Ich finde allein zurück.«
»In Ordnung.« Zögernd schaute sie mich an und sagte schließlich: »Ich lese Ihre Website. Täglich. Früher habe ich Ihre Beiträge bei Bridge Supporters gelesen, bevor Sie sich selbstständig gemacht haben.«
Ich hob eine Braue. »Tatsächlich? Was verschafft mir die Ehre?«
Sie errötete. »Ihr Nachname.« Sie klang peinlich berührt. »Im Studium habe ich eine Arbeit über Mensch-zu-Tier-Übertragungen geschrieben, die eine Kellis-Amberlee-Vermehrung auslösen. Ich bin auf Sie gestoßen, während ich nach Informationen über Ihren … Ihren Bruder gesucht habe. Dabei geblieben bin ich, weil mir das, was ich gelesen habe, gefallen hat.«
»Ah«, sagte ich. Offenbar wollte sie noch etwas hinzufügen. Ich schaute sie an und wartete.
Sie errötete noch tiefer. »Ich wollte bloß die Gelegenheit ergreifen, Ihnen zu sagen, dass es mir leidtut.«
Ich runzelte die Stirn. »Was?«
»Buffy.«
Das Blut gefror mir in den Adern. Ich achtete darauf, das Atmen nicht zu vergessen, und fragte: »Wie haben Sie davon erfahren?«
Unverhohlen überrascht blinzelte sie. »Ich habe gesehen, dass ihre Texte nun an der Mauer gepostet sind.«
»Die Mauer? «, fragte ich. »Aber woher wissen die, das … ach Himmel. Die Kameras.«
»Ms Mason? Georgia? Geht es Ihnen gut?«
»Hä?« Irgendwann im Laufe des Gesprächs hatte ich den Blick von ihr abgewandt. Jetzt schaute ich wieder zu ihr und schüttelte den Kopf. »Es ist bloß … mir war nicht klar, dass sie schon an der Mauer steht. Danke. Danke für Ihr Beileid.« Ich wandte mich ab, betrat, ohne ihre Antwort abzuwarten, den Umkleideraum und schloss die Tür hinter mir. Sollte sie mich für unhöflich halten. Ich bin Journalistin. Von Journalisten erwartet man, dass sie unhöflich sind, oder nicht? Das gehört zur Aura des Geheimnisvollen.
Die Gedanken jagten durch meinen Kopf wie Blätter im Wind, als ich den Schlafanzug der Behörde ablegte und meine eigenen Sachen anzog. Es dauerte länger als sonst, weil ich ständig innehalten musste, um die Aufzeichnungsgeräte, Kameras und mobilen Empfangsgeräte in die richtigen Taschen zu stecken. Wenn ich das unterließ, würde ich wochenlang
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