FEED - Viruszone
zurückbleiben, um die Hölle auf Erden zu erdulden.« Sie kniff die Augen zusammen. »Wie stehen sie zu diesem heiligen, vorherbestimmten Ereignis?«
»Ah.« Senator Ryman schaute sie weiter an, und seine Verwirrung wich Nachdenklichkeit. Ich hörte ein leises Klimpern und warf einen Blick nach links: Shaun hatte sein Kettenhemd weggelegt und schaute mit unverhohlener Neugier Richtung Bühne. Buffy starrte auf ihr Telefon und drückte dabei hektisch Tasten, um die Kameras auszurichten. Man kann eine Liveübertragung nicht schneiden oder anhalten, aber man kann alles so einrichten, dass man später möglichst gutes Material zur Verfügung hat. Und das hier war etwas, was man unmöglich inszenieren kann. Würde er sich den religiösen Spinnern beugen, die in den letzten Jahren immer größere Teile der Partei übernommen haben? Oder würde er es riskieren, das gesamte religiöse Wählersegment zu verärgern? Nur der Senator selbst wusste es. Und gleich würden wir es auch wissen.
Senator Ryman hielt den Blickkontakt mit der Frau, während er hinter seinem Pult hervortrat, an den Bühnenrand trat und sich mit den Ellbogen auf den Knien hinsetzte. Er sah wie ein Schuljunge kurz vor der Beichte aus und nicht wie ein Mann, der um die Führung der mächtigsten Nation der Welt kämpfte. Es war eine wohldurchdachte Körperhaltung, und in Gedanken beglückwünschte ich ihn und dachte dabei bereits darüber nach, einen Artikel über Schauspielkunst in der modernen Politik zu schreiben. »Wie ist Ihr Name, Ma’am?«
»Suzanne Greeley«, sagte sie mit geschürzten Lippen. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet, junger Mann.«
»Tja, Ms Greeley, das liegt wohl daran, dass ich gerade nachdenke«, sagte er und schaute auf die kleine Versammlung, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. »Man hat mir beigebracht, dass es unhöflich ist, die Frage einer Dame zu beantworten, ohne gründlich über sie nachzudenken. So ähnlich, wie wenn man beim Essen die Ellbogen auf den Tisch stützt.« Ein Lachen ging durch die Menge. Ms Greeley lachte nicht mit.
Wieder ihr zugewandt fuhr der Senator fort: »Sie haben mich nach meinem Standpunkt zur Entrückung gefragt, Ms Greeley. Nun, zuerst einmal sollte ich wohl darauf hinweisen, dass ich eigentlich keinen ›Standpunkt‹ zu religiösen Ereignissen habe: Gott tut, was er will, und es ist nicht an mir, über ihn zu urteilen. Wenn er beschließt, die Gläubigen in den Himmel zu erheben, wird er das tun, und alle Politiker der Welt könnten ihn nicht davon abhalten, nur weil sie nicht daran glauben.
Zugleich bezweifle ich, dass er etwas Derartiges vorhat, Ms Greeley, weil Gott – zumindest der Gott, an den ich glaube, und als lebenslanger Methodist glaube ich, dass ich ihn so gut kenne, wie man ihn kennen kann, wenn man sein Leben nicht der Kirche widmet – nichts wegwirft, was noch brauchbar ist. Gott ist der ultimative Recycler. Wir haben hier einen guten Planeten. Nicht, dass es keine Probleme gäbe. Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, das Donnerstagabendprogramm« – mehr Gelächter – »und natürlich die Infizierten. Wir haben viele Probleme auf dieser Welt, und es mag nach einer tollen Idee klingen, sofort mit der Entrückung weiterzumachen – warum warten? Gehen wir in den Himmel und lassen die Sorgen und Nöte unseres irdischen Seins hinter uns. Verschwinden wir, solange es noch Spaß macht, bevor das Gedrängel losgeht.
Auch, wenn es danach klingt, glaube ich nicht, dass das eine gute Idee ist, und zwar aus demselben Grund, aus dem ich glaube, dass es keine besonders tolle Idee für einen Erstklässler ist, aufzustehen und zu sagen, dass er genug gelernt hat, dass er mit der Schule fertig ist und dass er ab hier lieber alleine weitermacht. Verglichen mit Gott sind wir kaum aus dem Kindergarten raus, und ich denke, dass er uns nicht einfach aus der Klasse lässt, nur weil wir den Unterricht gerade etwas mühsam finden. Kein guter Lehrer würde so etwas tun. Ich weiß nicht, ob ich an die Entrückung glaube oder nicht. Ich glaube, dass Gott tut, was er möchte … aber ich glaube nicht, dass es geschehen wird, solange wir leben. Wir haben hier noch zu viel Arbeit vor uns.«
Ms Greeley schaute ihn eine ganze Weile lang mit fest aufeinandergepressten Lippen an. Dann nickte sie mit beinahe geologischer Langsamkeit. »Vielen Dank, junger Mann.«
Diese vier Worte hätten nicht süßer klingen können, wenn sie von Himmelschören
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