Feenkind
ihm beigestanden, wenn es nicht für ihn selbst vorteilhaft war. Das hätte er auch nie von jemandem erwartet. Es verstieß ja schon fast gegen den Kodex der Schmuggler. Noch niemals zuvor hatte ein anderer Mensch sein eigenes Leben riskiert, um das seine zu retten. Bis auf Dhalia. Sie war nur seinetwegen zurückgekommen. Nur seinetwegen war sie verletzt worden. Nur seinetwegen würde sie vielleicht sterben.
Endlich hatte er der Angst um sie, die schon seit Stunden an seinem Herzen nagte, Ausdruck verliehen. Doch dadurch wurde es auch nicht leichter. Vielleicht sogar im Gegenteil. Zuvor war ihm gar nicht richtig bewusst gewesen, wie groß seine Angst, sie zu verlieren, tatsächlich war.
Um sich abzulenken, beschloss Chris, sich lieber auf ihre mysteriöse Fähigkeit zu konzentrieren, magische Barrieren ohne jegliche Anstrengung zu durchqueren. Als er ihr den Verband angelegt hatte, konnte er nicht umhin, unter ihrem Hemd einen Anhänger zu bemerken, der definitiv feeischen Ursprungs war. Er konnte schwören, dass er bei Eliza schon mal den gleichen Anhänger gesehen hatte. Was hatte das bloß zu bedeuten? Er hätte den Anhänger gerne genauer betrachtet. Genauso gern, wie er gewusst hätte, was sich noch alles in Dhalias Rucksack und den Satteltaschen verbarg.
Doch er tat es nicht. Obwohl sie es in ihrem Zustand wahrscheinlich nicht mitgekriegt hätte. Aber auf einmal wollte er ihr Geheimnis nicht nur erfahren, er wollte auch, dass sie es ihm selbst erzählte, wenn sie dazu bereit war, wenn sie ihm endlich vertraute. Und wenn es soweit war, wollte er dieses Vertrauen auch verdient haben.
Jedenfalls war ihm nun klar, wieso Eliza so verbissen hinter ihr her war. Ein Mensch, dem die Magie der Feen nichts anhaben konnte, stellte eine erhebliche Störung der herrschenden Weltordnung dar. Was wäre, wenn es gar kein Artefakt, sondern sie selbst war, die diese Fähigkeit besaß? Könnte sie diese Fähigkeit an die Menschen weitergeben? Könnte sie die Mutter einer neuen Menschenrasse werden, die keine Angst mehr vor den Dunkelfeen zu haben brauchte?
Chris musste unwillkürlich lächeln, als er merkte, wie seine Gedanken mit ihm durchgegangen waren. So ein Blödsinn, dachte er kopfschüttelnd. Doch sein Lächeln erstarb, als ihm auffiel, dass das Mädchen verstummt war und nur noch schlapp und schwer atmend an seiner Brust zusammengesackt lag. Besorgt strich er ihr über die schweißnasse Stirn.
Wann würden sie endlich dieses verdammte Kloster erreichen?
"Halte durch, Dhalia, wir sind ja bald da", flüsterte er leise, auch wenn er nicht wusste, ob sie ihn überhaupt hören konnte. Er beschleunigte Brunos Schritt.
Und dann endlich konnte er hohe Steinmauern zwischen den Ästen der Bäume hindurch erkennen. Kurze Zeit später standen sie vor einem großen Tor. Sie hatten es geschafft.
Unsicher blickte Chris sich um. Das verschlossene Tor sah nicht gerade einladend aus. Es gab keine Klingel, nicht einmal einen Türgriff. Doch er hatte keine Zeit mehr, schüchtern zu sein. Er lenkte Bruno ganz nah an das Tor heran und klopfte mit seiner Faust mit aller Kraft gegen die schwere, mit Metall verkleidete Tür. Mit dem anderen Arm hielt er Dhalia umklammert, die sich nicht länger selbstständig im Sattel halten konnte.
Er wartete, doch nichts geschah. Gerade, als er die Faust erhoben hatte, um ein zweites Mal zu klopfen, öffnete sich eine kleine Luke und ein misstrauisches Gesicht spähte hinaus.
"Wie beherbergen keine Reisenden", wurde Chris schroff informiert.
"Wartet!" Als der Sprecher Anstalten machte, die Luke wieder zu schließen, beugte Chris sich im Sattel vor und fuhr mit der Hand dazwischen. "Au, verdammt!" fluchte er, als seine Finger schmerzhaft eingeklemmt wurden, doch zumindest hatte er nun die Aufmerksamkeit des Mönches, der die Luke wieder geöffnet hatte und seinen Besucher mit milder Verwunderung musterte.
"Meine Freundin hier ist sehr krank, sie braucht dringend einen Heiler", sagte Chris schnell, bevor sich das kleine Fenster wieder schloss.
"In Brahmen gibt es einen Heiler und eine Absteige. Belästigt uns bitte nicht mehr."
"Na toll!" stieß Chris wütend hervor, als das Gesicht sich wieder abwandte. "Ein Mönch schickt uns hierher, ein anderer dorthin!" So würde er sich nicht abwimmeln lassen. Selbst wenn er sich mit Gewalt Eintritt verschaffen musste, er würde dafür sorgen, dass die Mönche Dhalia halfen.
"Wer hat Euch her geschickt?" erkundigt sich der Mönch plötzlich neugierig.
"Ein junger Mönch.
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