Feenkind
überlegen sein. Und manchmal war es auch so und er genoss seine kleinen Siege, zum Beispiel wenn es ihm gelang, sie zu verwirren oder sie in Verlegenheit zu bringen, so wie es ihm diesen Abend gelungen war. Und doch war er tief in seinem Inneren ihr auf Gedeih und Verderb schutzlos ausgeliefert, wann immer ihn der offene Blick dieser strahlend grünen Augen traf.
Am Nachmittag des nächsten Tages erreichten sie endlich den Weg zu Lenutas Haus. Dhalia hatte die Vorkommnisse des Vorabends mit keiner Silbe erwähnt und daher hatte auch Chris beschlossen, sie damit in Ruhe gelassen. Eigentlich war ja auch gar nichts passiert. Dennoch hatte er das Gefühl, als wären sie sich noch ein Stückchen näher gekommen.
Einen sicheren Erfolg hatte ihr Ausflug zu der Quelle auf jeden Fall gehabt. Dhalia saß nun schon den ganzen Tag über viel entspannter im Sattel als die ganze Zeit zuvor. Ob es tatsächlich die Quelle gewesen war oder etwas anderes, wusste er nicht, doch es freute ihn, dass es ihr besser ging.
Chris entdeckte den vertrauten Pfad, der zu Lenutas Hof führte, schon aus einiger Entfernung. Er zögerte jedoch kurz, bevor er in ihn einbog.
"Was ist los? Ist das doch nicht der richtige Weg?" erkundigte sich Dhalia beinahe hoffnungsvoll. Es behagte ihr noch immer nicht, eine Fremde in ihre Suche einzuweihen. Doch sie hatte keinen besseren Vorschlag und musste Chris wohl oder übel gewähren lassen.
"Nein, das ist es nicht", winkte Chris geistesabwesend ab. "Ich hoffe bloß, sie ist zuhause. Wenn sie nicht da ist, kann es Wochen dauern, bis sie zurückkommt.
Dhalia schenkte ihm einen Blick, der soviel wie: Und das fällt dir erst jetzt ein? ausdrücken sollte. Chris zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Es hat keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Gleich werden wir Bescheid wissen." Entschieden lenkte er sein Pferd auf den schmalen Pfad.
"Chris, wartet."
"Was denn?"
"Muss ich irgendetwas beachten? Wie viel wollen wir ihr sagen?"
"Das Nötigste", entschied er. Also ungefähr so viel, wie ich selber weiß, fügte er in Gedanken hinzu. "Ansonsten", er dachte kurz nach, "passt einfach auf, was und wie Ihr sagt. Sie kann manchmal sehr stolz sein."
"Aha." Dhalia nickte unsicher mit dem Kopf. Dann reckte sie ihr Kinn herausfordernd empor. "Dann wollen wir mal die alte Dame kennenlernen."
Der Pfad mündete in einem kleinen Hof vor einem adretten Häuschen mit weißen Wänden und blauen Fensterläden. Bei ihrem Erscheinen flüchteten einige Hühner laut gackernd über den Hof. Sofort erschien eine hohe schlanke Frauengestalt in dem Türrahmen. Die Frau hatte lange graue Haare, die in einem Knoten am Hinterkopf festgesteckt waren. Trotz der vielen Falten, die es nun zerfurchten, konnte Dhalia erkennen, dass ihr Gesicht einmal bemerkenswert schön gewesen sein musste. Auch jetzt noch wirkte es attraktiv, obwohl es einen herrischen und befehlsgewohnten Ausdruck hatte. Die Frau trug einen langen Rock, die Ärmel ihrer Bluse waren hochgekrempelt und sie hielt einen Besen in den Händen. Argwöhnisch musterte sie die ungeladenen Gäste und obwohl es unsinnig war, hatte Dhalia irgendwie den Eindruck, der Besen wäre eine Art Waffe für die alte Frau, so drohend hielt sie ihn umklammert.
Als sie ihren Besucher erkannte, fiel etwas von der Bedrohlichkeit von ihr ab, doch der Argwohn blieb. "Chris." Ihre Stimme hallte laut und klar über den Hof. "In welchen Schwierigkeiten steckst du denn nun schon wieder? Ich habe auch ohne dich genug zu tun!"
"Wieso immer Schwierigkeiten?" Chris schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. "Kann ich eine alte Freundin nicht einfach so besuchen?"
"Mich wickelst du damit nicht um den Finger, dafür bin ich schon etwas zu alt. Bewahr deinen Charme lieber für deine kleine Freundin auf, anstatt ihn an mich zu verschwenden." Dennoch lächelte sie leicht. "Aber wenn du schon einmal hier bist, kannst du ja rein kommen und mir erzählen, was du jetzt schon wieder ausgeheckt hast. Du weißt ja, wo der Stall ist", fügte sie noch hinzu, während sie wieder ins Haus ging.
Chris warf Dhalia ein zufriedenes ‚Ist-doch-alles-gut-gegangen-Lächeln' zu, das sie mit einem skeptischen Blick erwiderte. Doch Chris schien sich auf dem Gelände wie zu Hause zu fühlen und so schob sie ihre Bedenken beiseite. Sie hoffte bloß, dass er es wirklich so empfand und ihr nicht ihr zuliebe etwas vormachte.
Von innen war das Haus ebenso ordentlich wie von außen. Dhalia konnte kein Staubkörnchen auf dem polierten
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