Feenkind
Holzboden entdecken. Anscheinend war Lenuta tatsächlich eine Meisterin im Umgang mit ihrem Besen. Sobald sie das Haus betreten hatte, schlug Dhalia der würzige Duft von Kräutern in die Nase. Als sie Chris in die Küche folgte, erkannte sie auch, den Grund dafür. Unter der Decke und an den Wänden hingen Bündel verschiedenster Kräuter. Manche von ihnen konnte Dhalia mit Namen benennen, die meisten jedoch nicht. Anscheinend war die Frau eine echte Kräuterhexe, dachte sie fasziniert. Sie hatte noch nie zuvor eine kennengelernt, denn ihre Eltern teilten die gesunde Furcht der einfachen Menschen vor allem, das auch nur im Entferntesten an Magie erinnerte. Dhalia war ebenfalls so erzogen worden, doch in den letzten Wochen hatte sie viel Gelegenheit gehabt, ihr Weltbild gehörig zu überdenken. Daher empfand sie keine Furcht vor dieser Frau, sondern bloß Neugier, zu der sich die Faszination gesellte, etwas Verbotenes zu tun.
Lenuta ließ sie am Tisch Platz nehmen und schob jedem eine Tasse mit einem dampfenden Getränk hin.
Dhalia schnupperte vorsichtig an ihrer Tasse, doch sie konnte keine unbekannten oder unangenehmen Gerüche entdecken, daher beschloss sie, zögernd an dem Getränk zu nippen.
Lenuta lächelte über ihre Vorsicht, dann wandte sie sich an Chris. "Willst du mir deine Freundin nicht endlich mal vorstellen?"
"Oh ja, sicher." Rasch stellte Chris seine eigene Tasse ab. "Das ist Dhalia. Ich habe sie ..."
"Ich kann durchaus für mich selber sprechen", unterbrach Dhalia ihn mit einem herausfordernden Blick zu Lenuta.
Die ältere Frau zog amüsiert die Augenbrauen hoch und fixierte sie mit dem durchdringenden Blick ihrer dunklen Augen. "Also gut, Dhalia, dann sprich."
"Ich bin Dhalia aus Annubia. Ich habe Chris in der Nähe von Marterim getroffen, als er mich ausrauben wollte."
Chris machte einen protestierenden Laut, doch Lenuta hob Schweigen gebietend die Hand. "Er hat also noch immer nicht gelernt, Frauen zu erkennen, von denen er lieber die Finger lassen sollte, wie?"
Höflich erwiderte Dhalia ihr kleines Lächeln.
"Hey", beschwerte sich Chris, doch die beiden Frauen bemerkten ihn kaum.
"Was geschah dann?" fragte Lenuta und nippte lässig an ihrem Tee, ohne den Blick von Dhalias Gesicht zu nehmen.
"Ich habe ihn gefesselt und zurückgelassen. Ich wollte eigentlich keinen Partner bei meiner Suche haben. Doch er ist mir gefolgt und hat mich aus einer gefährlichen Situation gerettet. Anschließend haben wir beschlossen, dass unsere Chancen auf Erfolg zusammen erheblich größer sind. Und jetzt sind wir hier", schloss Dhalia ihre nüchterne Erzählung ab.
Lenuta nickte. "Und was genau wollt ihr nun von mir?"
"Wir suchen einen bestimmten Ort und haben gehofft, einen Blick auf deine Karten werfen zu können", erklärte Chris.
"Das ist alles?" Die alte Frau schien erleichtert.
"Gibt es etwas, wobei
wir
helfen können?" erkundigte sich Dhalia, die sich plötzlich daran erinnerte, dass Lenuta vorhin etwas von eigenen Schwierigkeiten erzählt hatte.
"Nein, nein", winkte die Frau ab. "In letzter Zeit machen die Leute bloß ein wenig Stimmung gegen böse Hexen wie mich." Sie zuckte mit den Achseln. "Nichts, was ich nicht schon erlebt hätte oder womit ich nicht fertig werden würde."
"Seid Ihr denn eine Hexe?" fragte Dhalia ein wenig besorgt.
Lenuta lachte herzlich auf. "Wo hast du diese Kleine bloß aufgetrieben, Chris?" Dann wurde sie wieder ernst und wandte sich Dhalia zu. "Kindchen, kein Mensch, der ein wenig Verstand besitzt, braucht im Zeitalter der Dunkelfeen eine Menschenfrau zu fürchten. Jede von ihnen könnte uns alle ohne mit der Wimper zu zucken vernichten. Das, was ich mache, können nur Bauerntölpel für echte Magie halten. Doch genug davon." Sie erhob sich und räumte die Tassen vom Tisch ab. Dann holte sie einen großen Stapel Pergamentrollen aus einem Regal. "Wir sollten das Tageslicht ausnutzen. Für Geschichten ist nachher noch genügend Zeit." Sie öffnete eine der Rollen und breitete sie vorsichtig auf dem großen Holztisch aus.
Dhalia erkannte, dass es eine kunstvoll gefertigte Karte war.
"Also, was suchen wir?" Erwartungsvoll sah Lenuta ihre beiden Gäste an, die einander stumm einen schnellen Blick zuwarfen. "Entweder ihr wollt meine Hilfe oder ihr lasst es bleiben", sagte sie ärgerlich.
"Sei doch nicht immer gleich beleidigt, wir haben nur nachgedacht, wie wir es am besten beschreiben sollen", versuchte Chris, sie zu besänftigen.
"Dann denkt schneller", brummte sie. "Ich bin alt und
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