Feenkind
aus dem Sattel zu steigen? Doch dann beschloss sie, seine Geste zu würdigen, und ergriff seine Hand. Warm und fest schlossen sich seine Finger um die ihren. Ohne sie loszulassen, zog er sie mit sich in das kleine Wäldchen auf zwei große Trauerweiden zu. Ihre Äste und Blätter berührten beinahe den Boden und bildeten einen dichten, leise raschelnden Vorhang. Chris streckte eine Hand aus, um diesen Vorhang zu teilen, und führte Dhalia durch die entstandene Öffnung.
"Wow", flüsterte sie leise, als sie hindurch trat und aufschaute.
Er sagte nichts, sondern ließ sie den Augenblick in Ruhe auskosten. Ihm selbst genügte die atemlose Begeisterung, die sich in ihrem Gesicht zeigte. Es hatte sich gelohnt.
Sie standen am Rande eines kleinen Sees, der von großen alten Bäumen umringt war. Das Wasser wirkte dunkel, beinahe schwarz in dem schwindenden Tageslicht.
Doch auf der gegenüberliegenden Seite sprudelte es in einer weiß schäumenden Fontäne fast zwei Fuß hoch in die Luft. Ein letzter verirrter Sonnenstrahl tauchte die Quelle in sein rotgoldenes Licht, so dass das schäumende Wasser wie flüssiges Feuer wirkte, das sich in den dunklen See ergoss, von dessen Oberfläche feine Nebelschwaden in die kühle Abendluft hinaufstiegen - geheimnisvoll und verlockend.
Neugierig machte Dhalia einen Schritt vorwärts. "Was ist das?"
"Das ist eine der wenigen warmen Quellen, die nicht mit unangenehmen Gerüchen behaftet ist", sagte Chris trocken.
Dhalia warf ihm bei dieser profanen Beschreibung einen vernichtenden Blick zu.
"Und einer meiner liebsten Orte", fügte er etwas sanfter hinzu.
"Das verstehe ich gut." Sie hockte sich hin und streckte zögernd ihre Hand nach dem Wasser aus. "Darf ich?"
"Aber natürlich. Es ist vollkommen ungefährlich. Im Sommer ist mir das Wasser zu warm, aber ich finde es genau richtig für kühle Herbstabende."
Kurze Zeit später saßen sie neben einander am Ufer und ließen ihre Füße im warmen Wasser baumeln, während sie hungrig Brot und das gebratene Fleisch vertilgten, die vom Vortag übrig geblieben waren.
Genüsslich wackelte Dhalia mit den Zehen im Wasser. Sie waren von dem warmen Bad ganz rosig und bereits leicht verschrumpelt. Sie spürte, wie sich die Wärme über ihre Beine in ihrem gesamten Körper ausbreitete. "Mhh, das tut gut", murmelte sie. "Mir war gar nicht bewusst, wie satt ich es hatte, mich immer mit eiskaltem Wasser zu waschen."
Chris lächelte stolz. "Es freut mich, dass es Euch hier so gut gefällt."
Aus den Augenwinkeln warf sie ihm einen kecken Seitenblick zu. "Ich wette, Ihr habt schon öfter Mädchen mit hierher gebracht."
Chris stutzte. Doch ihr Ton war rein freundschaftlich. Anscheinend wollte sie ihm dieses Mal keine unehrenwerten Absichten unterstellen. Schließlich lachte er amüsiert auf. "Danke für den Tipp, wenn Ihr meint, dass es funktionieren könnte."
Verlegen wandte sie ihren Kopf ab und stopfte sich den Rest ihres Brotes in den Mund.
"Nein, ich habe es noch nie ausprobiert", fuhr Chris locker plaudernd fort. "Dafür ist dieser Ort zu weit von jeglicher Zivilisation entfernt." Er verstummte. "Mir ist gerade aufgefallen, dass ich noch nie mit einem anderen Menschen hier gewesen bin", fügte er schließlich hinzu und sah sie ernst an.
"Danke", sie stupste ihn kameradschaftlich mit ihrer Schultern an. "Danke, dass Ihr ihn
mir
gezeigt habt."
"Ich kenne niemanden, mit dem ich im Augenblick lieber hier sitzen würde."
Unsicher, was sie darauf erwidern sollte, wandte Dhalia den Blick ab.
Chris räusperte sich verlegen. "Was habt Ihr eigentlich vor, nachdem wir die Feenschätze gefunden haben?" fragte er plötzlich, um die Stille zu überbrücken.
"Wie?" fragte Dhalia über den plötzlichen Themenwechsel irritiert.
"Nun, was wollt Ihr tun, wohin wollt Ihr gehen, wenn unser Abenteuer vorüber ist?"
Sie dachte so lange darüber nach, dass Chris sich mit einem flauen Gefühl im Magen fragte, ob sie tatsächlich noch keine Pläne für ihre Zukunft hatte. Wie war das nur möglich?
"Ich denke, ich werde zu meinen Eltern gehen", sagte sie schließlich. "Das bin ich ihnen einfach schuldig. Und dann sehe ich weiter." Sie zuckte trostlos mit den Schultern und versuchte ein tapferes Lächeln. "Ich werde mir wohl ein neues Leben aufbauen müssen, irgendwo, wo mich keiner kennt."
"Ihr habt noch nie ganz allein gelebt, nicht wahr?" fragte Chris mitfühlend.
"Nein." Sie schüttelte den Kopf. Dann straffte sie ihre Schultern und hob ihren Kopf entschieden höher. "Aber ich
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