Feenkind
ungeheuerlich und absurd. Wenn Chris auch nur einen Zweifel daran gehabt hatte, dass Dhalia sich nicht für Geld und Schätze interessierte, dann hätte sie ihm nun den endgültigen Beweis dafür geliefert, dass sie ganz eigene Pläne verfolgte. Trotz seiner ganzen Sympathie, die er für sie empfand, spürte er die starke Versuchung in sich aufsteigen, ihr die beiden Beutel einfach abzunehmen und sich sein eigenes, privates Paradies zu erschaffen, in dem er glücklich bis an sein natürliches Lebensende leben konnte.
"Ist das jetzt dieser Staub oder nicht?" drang Dhalias Stimme erneut in sein Bewusstsein. Anscheinend hatte sie ihm die Frage schon mehrfach gestellt. Er merkte auch, dass er mit seinen Fingern kontinuierlich in dem feinen Staub spielte, was ihm einen argwöhnischen Blick von ihr einbrachte.
Chris räusperte sich verlegen und zog seine Finger augenblicklich aus dem kleinen Beutel. "Ja", nickte er. "Das ist er. Woher hast du ihn denn?" Er bemühte sich um einen beiläufigen Ton, doch genau das brachte den Argwohn zurück in Dhalias Blick. Sanft, aber entschieden nahm sie ihm den Beutel ab.
"Aus der Höhle bei Marterim", antwortete sie knapp.
"Hast du noch mehr davon?" Er hasste es selbst, wie gierig seine Stimme klang.
Dhalia sah ihm ruhig in die Augen. Chris erschauerte. Ihm war, als würde sie den Konflikt in seinem Inneren mit einem Blick erfassen. "Ja", antwortete sie. "Ich habe noch so einen Beutel." Sie wusste, dass er ihn bereits gesehen hatte und dass es keinen Grund für sie gab, ihn zu belügen. Nicht, wenn sie Chris helfen wollte, die richtige Entscheidung zu treffen. "Es wird also für die Überfahrt reichen", setzte sie hinzu, als hätten Chris' Worte seine Sorge diesbezüglich ausgedrückt.
"Natürlich." Er zwang sich zu einem Lächeln. "Dennoch denke ich, dass es besser ist, ihn nicht einzusetzen, bevor wir aus der Sichtweite der Insel kommen."
Sie nickte zustimmend.
Chris richtete einige Worte an den Bootsmann. Unter Tukrols Anleitung führte Dhalia Bruno an Bord und begann gemeinsam mit Chris, ihn mit den vorbereiteten Riemen zu befestigen. Obwohl sie wusste, dass es nur für kurze Zeit war, schnitt ihr Brunos gequälter Blick, als ihm die Fesseln angelegt wurden, ins Herz. Immer wieder streichelte sie seine Nüstern und flüsterte ihm beruhigende Worte zu. Sie war so sehr mit ihm beschäftigt, dass sie beinahe nicht bemerkte, wie sich das kleine Boot vom Ufer löste und in nord-westlicher Richtung über das glatte Wasser des Sees zu gleiten begann. Sie sah gar nicht, wie das grüne Ufer immer kleiner und kleiner wurde und sie das geschäftige Treiben der kleinen Boote in Ufernähe hinter sich ließen.
Bald ließen sich auch nur noch auf vereinzelten kleinen Inseln menschliche Siedlungen oder einsame Häuser erkennen. Am frühen Nachmittag lenkte ihr Führer sein kleines Gefährt schließlich in eine Gegend, deren Stille nur noch von den Schreien der Wasservögel und Frösche und nicht länger von menschlichen Stimmen durchbrochen wurde.
Dort fixierte er das Ruder und überließ sein Boot der leichten Strömung, die, wie er Dhalia und Chris erklärte, bevor er sich seinen Strohhut über das Gesicht zog und sich auf dem Rücken ausstreckte, sie fast ohne sein Zutun in die richtige Richtung treiben würde.
Erst da traute Dhalia sich, Bruno ein wenig Feenstaub auf die Nüstern zu pusten. Der mächtige Körper entspannte sich beinahe augenblicklich und Dhalia begann, sanft seine Fesseln zu lockern. Dann warf sie Chris, den das Verhalten ihres Führers ebenso überrascht hatte wie sie selbst, einen fragenden Blick zu.
"Ruh dich ruhig aus, ich passe schon auf, dass wir nirgendwo vorfahren", erwiderte er.
Sie nickte und lehnte sich gegen die niedrige Bordwand. Dann schloss sie die Augen und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht, das beruhigende Plätschern des Wassers und die seltenen Rufe der Wasservögel. Doch sie schlief nicht, während Chris, wie sie sicher spürte, gegen die Versuchung seiner Gier ankämpfte.
Gegen Abend lenkte Tukrol sein Boot an eine kleine Insel. Dhalia befürchtete schon, das Gefährt würde im dichten Schilf am Ufer stecken bleiben, doch der kleine Bootsmann steuerte es so geschickt, dass es das Schilf problemlos teilte - jetzt erkannte die junge Frau auch, warum das Boot an beiden Enden spitz zulief und jeweils in einer langen Stange endete. Damit konnte das kleine Gefährt sich einen Weg durch das Schilf bahnen. Dahinter kam ein natürlicher Anlegeplatz zum Vorschein.
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