Feenkind
sogar behalten. Er war mir fast ein Vater gewesen. Mein Leben hätte sich sicherlich ganz anders entwickelt, wenn er mich nicht verlassen hätte."
"Wer war er?"
"Zuerst habe ich ihn für einen Spinner gehalten." Christopher lächelte wehmütig. "Ein Fünfzehnjähriger hält wohl jeden für einen Spinner, der ihm erzählt, dass es noch andere Wege gibt, sein Leben zu leben, als den, den er gerade beschreitet. Doch Del hatte nie aufgegeben. Ich weiß nicht, wieso, aber er hat immer etwas Gutes in mir gesehen und es war ihm sehr wichtig gewesen, mich auf den richtigen Weg zu lenken. Ich habe bis heute nicht herausfinden können, weshalb. Damals habe ich ihn für einen Weltverbesserer gehalten, für einen weisen, gütigen Mann, der mir half. Und ich war bloß froh, dass er es tat. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mir keine Sorgen darüber machen, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte. Ich fing an zu entdecken, wie groß doch die Welt war und wie vielseitig das Leben sein konnte."
Die Worte sprudelten nur so aus Christopher heraus. Er schien Dhalias Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Und sie traute sich nicht, etwas zu sagen, aus Angst, ihn in seinen Erinnerungen zu stören.
"Und dann, eines Tages, sagte er, dass er mich verlassen musste", fuhr Chris fort.
Obwohl der Vorfall schon lange zurücklag, machten die Traurigkeit und die Wut in seiner Stimme Dhalia deutlich, dass er diesen Verlust noch immer nicht verkraftet hatte.
"Er sagte mir, er müsste fort, um mich nicht in Gefahr zu bringen. Zum Abschied schenkte er mir die Zauberperle, die ich seit jenem Tag immer bei mir getragen habe." Er stockte und schaute kurz zu seiner Begleiterin hinüber. Beschämt wandte sie die Augen ab.
"Wenige Tage später hörte ich, dass er von Dunkelfeen aufgegriffen und getötet worden war. Er hatte sich überhaupt nicht gewehrt. Obwohl er es sehr wohl gekonnt hätte!" stieß Christopher bitter hervor. "Wir haben zwei Jahre zusammen verbracht und erst nach seinem Tod habe ich erfahren, dass er einer von ihnen war, dass er ein Feenmann und kein Mensch gewesen war!" Seine Stimme wurde wieder leiser. "Ich habe keine Ahnung, wer er eigentlich war; wieso er sich von seinem eigenen Volk abgewandt hatte. Er hatte nie darüber gesprochen. Es war ihm bloß stets wichtig gewesen, mich davon zu überzeugen, dass die Dunkelfeen nicht wirklich böse waren." Chris schüttelte den Kopf, als könnte er das noch immer nicht fassen. "Dieser Irrtum hatte ihn schließlich das Leben gekostet. Mich hat er jedoch eine wichtige Lektion gelehrt: Wer an das Gute in Feen glaubt, lebt nicht lange genug, um davon zu erzählen." Er verfiel in brütendes Schweigen.
Auch Dhalia schwieg. Sie zweifelte allerdings daran, dass Christophers Mentor erfreut über die Lehre gewesen wäre, die er aus dessen Tod gezogen hatte. Aber immerhin verstand sie nun, wie Christopher zu dem geworden war, der er war. Es war fast ein Wunder, dass er überhaupt noch zu etwas, das allgemein als
Menschlichkeit
bezeichnet wurde, fähig war.
Indessen wunderte sich Chris darüber, wieso er ihr das alles erzählt hatte. Er hatte noch nie, mit niemandem darüber geredet. Eigentlich hatte er seit Dels Tod überhaupt mit niemandem mehr ein ernsthaftes Gespräch geführt. Und nun, auf einmal, war es so leicht, darüber zu sprechen. Es hatte sich schon wieder einfach ...
richtig
angefühlt, mit ihr zu reden. Genauso richtig, wie es gewesen war, ihr die Perle zu überlassen. Vielleicht lag es daran, dass sie gut zuhören konnte? Eigentlich hatte sie gar nichts gemacht und dennoch hatte ihre unausgesprochene Anteilnahme ihn an seinen Mentor erinnert. Er hatte es auch immer vermocht, ihm allein durch seine Gegenwart das Gefühl zu geben, dass er verstanden wurde. Vielleicht war dies eine Eigenschaft, die wirklich gute Menschen besaßen. Auch wenn Del letztendlich gar kein Mensch gewesen war.
"Und was geschah dann?" fragte Dhalia sanft nach einiger Zeit.
"Dann?" Christopher lächelte freudlos. "Dann habe ich alles getan, um zu zeigen, wie ungerechtfertigt Dels Vertrauen in mich gewesen war. Wenn ich es mir recht überlege, tue ich das noch immer", fügte er bedauernd hinzu. Merkwürdig, dass es ihm noch nie aufgefallen war. "Ich war also wieder auf mich allein gestellt. Völlig auf mein altes Niveau absinken wollte ich nicht, hatte aber keine Ahnung, was ich stattdessen anfangen sollte. Eines Tages habe ich dann gesehen, wie ein Mann versuchte, einem anderen ein gefälschtes
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