Feenkind
sie ihn.
Er starrte sie mit offenem Mund an. "Müsst Ihr eigentlich nie schlafen?" entfuhr es ihm fassungslos, als ihm auffiel, dass sie bereits frisches Feuerholz gesammelt und Wasser gefunden hatte, das nun in einem Kessel fröhlich vor sich hin blubberte.
"Doch", antwortete sie gutgelaunt. "Aber ich habe schon oft gehört, dass man in meinem Alter mit wenig Schlaf auskommt."
Trotzig blickte er an sich herab. Er war gut in Form und gehörte mit seinen 32 Jahren noch lange nicht zum alten Eisen. Doch ein 18-jähriges Mädchen musste das wohl anders sehen. Er ließ das Thema auf sich beruhen. "Was gibt's denn zu essen?" fragte er stattdessen neugierig, während er sich erhob und seine Glieder streckte.
"Kräutertee und Brot", gab Dhalia zur Antwort. "Seid froh, dass Ihr überhaupt etwas kriegt", fügte sie schnippisch hinzu, als sie bemerkte, wie sich seine Miene enttäuscht verzog. "Ohne mich hättet Ihr nicht einmal das. Es ist ein Wunder, wie Ihr so lange allein überleben konntet."
"Ich sag' doch gar nichts", wehrte er ab. "Brot ist ganz toll, ehrlich."
Etwas besänftigt reichte sie ihm ein Stück, das sie über dem Feuer leicht angeröstet hatte. "Das heißt aber nicht, dass ich immer für Euch kochen werde", stellte sie sicherheitshalber klar, als Christopher herzhaft in das warme Brot biss.
"Wie wär's zur Abwechslung mal mit etwas Fleisch zum Mittag? Ich jage, Ihr kocht", bot er großspurig an.
Die junge Frau lächelte leicht, sagte aber nichts. Dies war nicht ganz die Arbeitsteilung, die sie im Sinn hatte.
Als sie aufbrachen, übernahm Dhalia die Führung. Sie war zwar selbst noch nie in dieser Gegend gewesen, hatte aber oft genug über den Karten gebrütet, um sich ausreichend orientieren zu können. Sie hatte vor, sich durch den Wald nach Südosten durchzuschlagen, um sich dann in der Nähe eines der Grenzkontrollposten über die Grenze zu schleichen. Normalerweise wurden nur die Straßen bewacht. Der Dornop wurde für abschreckend genug gehalten. Nach ihren letzten Erlebnissen konnte sie das durchaus nachvollziehen. Und doch hatte der alte Wald, nach ihrem Abenteuer in der Feenhöhle und in Christophers Gesellschaft, vieles von seinem Schrecken verloren.
"Dhalia", unterbrach Christophers nachdenkliche Stimme ihre Gedanken. "Ist das eigentlich ein verbreiteter Name in dieser Gegend?"
"Eigentlich nicht, nein. Ich wurde nach meiner Großtante benannt. Sie stammte aus Xaladien."
"Und Ihr, woher genau kommt Ihr?" bohrte Christopher nach.
"Ich wurde zwei Tagesreisen von Annubia geboren und habe dort auch mein ganzes Leben verbracht. Ich habe noch nie Cip'Rians Grenzen verlassen." Sie lächelte schief. "Eigentlich bin ich noch nie so weit weg von Zuhause gewesen wie jetzt", fügte sie leise hinzu.
"Wieso habt Ihr Euer Zuhause verlassen?" fragte er sanft. "So, wie Ihr davon sprecht, scheint Ihr Euch da sehr wohl gefühlt zu haben."
"Ja, das habe ich", sagte sie schlicht und ein glückliches Lächeln erschien auf ihren Lippen. "Ich habe eine wundervolle Familie gehabt." Es zerriss ihr fast das Herz, in der Vergangenheitsform von ihren Eltern zu sprechen.
"Was ist geschehen?" fragte Christopher vorsichtig. Er hoffte, dass er mit seinen Fragen keine zu tragischen Erinnerungen hervorrief. Er wollte den schönen Morgen auf keinen Fall mit traurigen Gedanken beschweren.
Sie schwieg so lange, dass er schon dachte, sie würde ihm gar nicht mehr antworten. "Ich ging weg, weil ich erkannt hatte, dass mein gesamtes Leben und meine Zukunft nur eine Lüge waren, die ich nicht mehr leben wollte", sagte sie schließlich. Dann schwieg sie, als hätte sie damit alles gesagt.
Ihre Erklärung warf für Chris jedoch noch mehr Fragen auf. Was konnte ein behütetes Mädchen nur derart aus der Bahn geworfen haben? "Was war denn passiert?" fragte er erneut. "Habt Ihr etwa herausgefunden, dass Euer Verlobter nicht der war, der er zu sein vorgab?"
Dhalia schnaubte verächtlich. "Als ob ich wegen eines Mannes mein gesamtes Leben umkrempeln würde!"
"Ihr wart also noch nie richtig verliebt", stellte Christopher fest. Dhalia schnaubte erneut, doch ihm schien diese Vorstellung irgendwie zu gefallen. "Habt Ihr keine Angst, dass Eure Eltern sich um Euch sorgen, dass sie Euch vielleicht suchen werden?" fragte er weiter, bevor sie wieder in brütendes Schweigen verfallen konnte.
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, dann schüttelte sie traurig den Kopf. "Nein. Zuerst habe ich befürchtet, sie würden es tun. Aber es scheint ihnen doch nichts
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