Feenland
Doggy Dog eine Kußhand zu, und dann ist sie
im Haus verschwunden, und der Junge und der Fahrer steigen wieder in
die Limousine und düsen ab wie in einem kurzen, stummen
Traum.
Alex verläßt sein unbequemes Versteck und schlendert
hinüber an die vergitterte Tür. Er preßt den Daumen
auf den Klingelknopf und hört in den Tiefen des Hauses ein
volles, melodisches Läuten.
8 Taifun im Anzug
Ein elektrischer Alarm ertönt, schrill und beharrlich. Alex
steht vor einem großen Ölgemälde in einem schweren
Goldrahmen, so nahe, daß seine Nase den Firnis und die klumpig
aufgetragenen Farben fast berührt. Jemand nimmt ihn am Arm und
bittet ihn höflich, aber bestimmt, ein paar Schritte
zurückzutreten.
»Sie müssen den vorgeschriebenen Abstand einhalten,
Sir«, sagt der Wärter und verstärkt den Druck auf
seinen Arm. Seine freie Hand schwebt in Hüfthöhe dicht
über dem Taser.
Alex murmelt eine Entschuldigung und zieht sich hinter das
Messinggeländer auf den abgetretenen rotbraunen Läufer
zurück. Die übrigen Besucher der von Deckenfenstern
erhellten Galerie wenden sich schon wieder ab, schnell gelangweilt
von dem kleinen Zwischenfall und diesem fetten Typ in Latzhose und
orangegelben Bauarbeiter-Stiefeln, der wie betäubt dieses Bild
anstarrt.
Es ist eines von Turners Seestücken, das vom Sturm
aufgewühlte Meer, eine Sonne, die durch einen flammenden
Abendhimmel in verschwommenen Rot- und Goldtönen sinkt, und
verloren inmitten dieser Landschaft ein sich aufbäumendes
Schiff.
Sklavenschiff wirft die Toten und Sterbenden über Bord
-Taifun im Anzug.
Alex wendet sich mit seinem schleimigsten Lächeln an den
Wärter und sagt: »Es ist aber auch ein wunderbares
Bild.«
Der Wärter ist ein hochgewachsener, grobschlächtiger
Mann um die fünfzig, sehr streng und aufrecht in seinem
hellblauen Uniform-Hemd und der grauen Hose. Sein Taser gehört
zu der Sorte von Waffen, die bleibende Brandnarben hinterlassen.
»Es entstand genau in der Mitte seiner besten Periode der
Ölmalerei«, erklärt er. »Aber bleiben Sie auf
dieser Seite des Geländers, Sir, sonst muß ich Sie
rauswerfen.«
»Ich passe schon auf«, verspricht Alex.
Was ihm auf der Zunge brennt, ist die Frage, wie er hierherkam,
aber damit würde er sich vermutlich echten Ärger
einhandeln.
Als Alex die überfüllten Galerie-Räume
verläßt, durchsucht er seine Taschen und findet den
Fahrschein-Abschnitt. Er ist um 14 Uhr 32 abgestempelt. Verdammt, ihm
fehlen mehr als drei Stunden.
Draußen ist es prügelheiß. In der Luft hängt
die ganze Schwüle noch nicht entladener Feuchtigkeit, der Himmel
hat die Farbe eines leeren Blatts Papier. Der Verkehr grollt in einem
verdrießlichen Stop-and-Go-Tempo zu beiden Seiten des Trafalgar
Square, vorbei am zertrümmerten Stumpf der Nelson-Säule,
die immer noch die schwarzen Brandspuren der Explosion zeigt, die sie
vor fünf Jahren in sich zusammensinken ließ. Ein gutes
Dutzend Studenten hält unter einem der heiter dreinblickenden
Bronzelöwen von Edwin Lutyens eine Protestkundgebung ab. Sie
tragen Masken mit Karikaturen der Premierministerin oder sind durch
schwarze und rote Stoffkapuzen getarnt, in die sie kurzerhand
Sehschlitze gerissen haben. Die Polizei beobachtet sie, hält
aber Abstand. Ein Constable filmt die Versammlung ganz offen mit
einer Videokamera. Die Ordnungshüter sind den Protestierern
zahlenmäßig etwa zwei zu eins überlegen. Alex ist zu
weit entfernt, um die unverstärkten Sprechchöre der
Studenten zu verstehen oder die Slogans auf ihren T-Shirts zu lesen.
Dann hält einer der jungen Leute ein Transparent mit
zerbrochenen Handschellen und dem blauen Affengesicht einer Puppe
hoch, und Alex muß über die Ironie dieses Protests
lächeln.
Die Kampfpuppe mit ihrer verstandlosen Aggressivität. Die von
den Reichen gehätschelten Schoßpüppchen. Die
ertrinkenden schwarzen Gestalten am Rand von Turners Gemälde,
ein Arm oder ein Bein, aus schäumenden Wogen ragend, inmitten
gespenstischer Fische, die um die Beute kämpfen. Verdammt,
selbst Turner ist ihm verleidet.
Sein Magen ist übersäuert und knurrt, und so steuert
Alex einen Pizza-Stand an, um sich sechs mit Zwiebeln, Anchovis und
Pepperoni beladene Stücke reinzuschieben. Gegessen hat er in den
verlorenen Stunden offensichtlich nichts, nur seine letzte Zigarette
scheint er irgendwann verqualmt zu haben. Er kauft sich eine neue
Schachtel, schlendert an den Sperren vorbei, die das West End abends
sichern, schlendert in
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