Feenring (German Edition)
… und meine Familie zu liquidieren.«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Das war Johnnys erster Gedanke gewesen. Nicht meiner.
»In den Nächten seither habe ich herauszufinden versucht, was das bedeutete, Persephone, und wie es weitergehen sollte. Ich war so daran gewöhnt, jeden in meinem Umkreis zu beherrschen … «
Ein paar Tausend Jahre lang der Herr im Haus zu sein ging an keinem Kerl spurlos vorüber.
»… dass ich unmöglich die Wahrheit erkennen konnte. Alle anderen sahen zu mir auf. Daher hätte es kein Problem sein dürfen, diese Hochachtung auf dich zu übertragen, aber so einfach war das nicht. Schließlich ging mir ein Licht auf. Gestern Nacht. Während des Rituals.«
Während?
»Die Erinnerung, die du mir überlassen hast, Persephone.« Er richtete sich auf und hob das Gesicht dem Himmel entgegen, dann holte er tief Luft, als genieße er den Wind, der übers Seeufer streifte, in sein Haar griff und so betörend seine Locken tanzen ließ. »Ich kann dich deutlich vor meinem geistigen Auge sehen. Als Kind. Unschuldig und ängstlich und doch provozierend allein.« Nun senkte er sein Antlitz wieder. »Dich hat sie erwählt. Dich hat sie durch Ihre Macht erhoben, hat dich über den grünen Klee gelobt. Sie hat dich mit Sternenstaub geküsst, dich in Mondlicht gebadet und dem Lauf der Welt ausgesetzt. Eine Offenbarung«, flüsterte er.
Ich konnte mich nicht erinnern, doch während er diese Erinnerung mit mir teilte, fiel mir alles wieder ein. Kehrte zu mir zurück. Ich hatte nicht mehr gewusst, wie ich in jener Nacht geflogen war, hatte mich nicht mehr an die Berührung ihrer Gnade erinnert, doch als er nun davon sprach, wusste ich, dass es genauso gewesen war.
Ein kalter Schauer überlief mich. Es schien, als würde die einzige Wärme der Welt von seinen Händen auf meinen Armen ausgehen.
»Als der Pflock in Flammen aufging, hast du das Schicksal enthüllt, das immer vor dir lag, das im Verborgenen darauf gewartet hat, dass du es bereitwillig annimmst. Als du mich verschontest, hast du deine Zukunft in die eigenen Hände genommen und … « Er ließ meine Arme los und ergriff meine Hände. »… seitdem hältst du auch mein Leben, meine Zukunft in diesen erwählten Händen.« Er ließ das einen Herzschlag lang stehen, dann fügte er hinzu: »Ich habe von Beginn etwas Besonderes in dir gesehen. Zuerst hatte ich Angst davor. Doch jetzt … jetzt blicke ich zu dir auf.«
»Weil ich die Lustrata bin?«
»Nein. Weil du so tapfer bist.«
Ich schluckte hart und vernehmlich.
»Was ich all den langen Jahren gelernt habe, ist, dass jeder, der wusste, wer ich bin, Großtaten von mir erwartete. Das gilt auch für dich.« Er streichelte meine Wange. »Das wird nie aufhören. Die Erwartungen nehmen ständig zu. Stetig zu liefern … das ist das Schwerste. Um Erfolg zu haben, musste ich den Erwartungen immer einen Schritt voraus sein, um sie abschätzen zu können. Manchmal auch, um die Undankbaren und die, die maßlose Erwartungen hatten, zum Schweigen zu bringen.« Seine Miene zeigte das traurigste Lächeln, das ich jemals gesehen hatte. Es verriet Erschöpfung und Ausweglosigkeit, und ich hätte darüber weinen können.
Ich richtete den Blick wieder auf den See. Ich musste nach den Feen Ausschau halten.
»Die Leute, mit denen du dich umgibst, sind deine Familie. Du liebst sie, und du wirst nie aufhören, alles zu ihrem Schutz zu tun. Du hast geopfert, was du wolltest, um zu werden, was du sein musst, aber nicht für dich. Sondern für sie. Das mag in mancherlei Hinsicht lohnend sein, aber nicht so, wie du es dir gedacht hattest und was dich diesen Weg hat einschlagen lassen. Du trägst den Mantel einer Heldin, Persephone, aber nicht, weil du es so wolltest. Sondern weil er, wie Aschenputtels Schuh, sonst niemandem passt.«
Ich drehte mich wieder zu ihm um. »Bring mich jetzt bloß nicht zum Weinen. Ich muss doch erkennen können, wann die Feen hier auftauchen!«
Menessos’ Arme – und seine Gewissheit – hüllten mich ein, und ich schämte mich meiner Tränen nicht. Viele waren es nicht, aber hielt ich sie nicht zurück. In mir begann Hitze zu lodern. Erregung und Bestätigung zugleich erfassten mich. Er hielt mich schweigend, beide blickten wir übers Wasser, während die Nacht verging.
Als die Sonne aufging, glitten Schemen durch den Nebel, als näherten sich die Feen seinem Rand. Einen Atemzug lang schimmerte der Nebel silbern und golden, dann tauchten in einer Linie zehn Boote daraus auf,
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