Feenring (German Edition)
bleiben, bis sie von mir hörten. Doch ich hatte sie ja darum gebeten, also würde sie sich wohl auch daran halten. Dies schien der richtige Augenblick zu sein, mehr über die vorige Lustrata in Erfahrung zu bringen. »Erzählen Sie mir von Ihrer Büchersammlung. Welches Buch haben Sie als Kind besonders gern gelesen?«
Sieben wurde wehmütig. »Meine Bibliothek existiert nicht mehr, und damals gab es noch Schriftrollen, keine Bücher. So viel Wissen ging einfach verloren.«
»Verloren?«
»Ja, aber ungeachtet dessen, was die Legenden berichten, wurde die Bibliothek damals nicht von Caesar zerstört, und Marcus Antonius schenkte mir zur Hochzeit auch nicht die geplünderte Bibliothek von Pergamon.«
Moment mal. Manchen Aufzeichnungen zufolge war Caesar für die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria verantwortlich. Aber das war zur Zeit von … das würde ja bedeuten, dass Sieben … nein! Sie war die Lustrata? »Sie sind – Sie sind aber nicht … «
»Genau die.«
»Kleopatra – und … « Ich wies auf den anderen Abschnitt der Räumlichkeiten, obwohl Mark gar nicht da war. »… Mark ist Marc Anton?« Kein Wunder, dass er Menessos’ Lieblingsstratege war.
Ihr Nicken verriet eine Mischung aus Trauer und Entschlossenheit.
Ich war platt. In meinem Kopf schwirrten zahllose Fragen umher, aber ich brachte keine davon heraus.
Endlich sagte sie: »Der Biss einer Natter unterscheidet sich kaum vom Biss eines Vampirs.«
»Aber der Biss einer Natter macht einen nicht zu einer Natter.«
»Ebenso wenig wie der Biss eines Vampirs einen bereits verwandelt, aber für die Menschen der damaligen Zeit sahen beide Bisse sich äußerlich ziemlich ähnlich.« Sie schwieg einen Herzschlag lang, dann fuhr sie fort: »Wenn die Dichter und Historiker wüssten, wie häufig sie irren.«
»Aber Marc Anton starb im Krieg … «
Sie unterbrach mich mit einer herrischen Geste – die mir nun ganz natürlich vorkam. »Wie gesagt: Dichter und Historiker liegen sehr oft falsch.« Damit erhob sie sich. »Auch was Krieg anbelangt. Am Krieg ist nichts romantisch. Krieg ist gewalttätig und hässlich. Städte stehen in Flammen, und der Wind trägt die Ausdünstung des Scheiterns mit sich.« Damit klappte sie den Kodex zu und hielt ihn mir hin. Ich war entlassen. »Also scheitern Sie nicht.«
Ich stand auf und nahm das Buch.
Als ich gehen wollte, sagte sie noch: »Nicht vergessen, Sie können das Einfallstor nur schließen, wenn beide Feen tot sind. Erst dann werden die Bande, die den Durchgang offen halten, gekappt. Vorher können Sie das Tor nicht schließen, versuchen Sie es also gar nicht erst, wenn Sie nicht sicher wissen, dass beide tot sind.«
Leise schloss ich die Tür der letzten Königin von Ägypten.
* * *
Kurz vor fünf Uhr morgens betrat ich mein Zimmer, um meinen Mantel zu holen. Mir blieben fünfzehn Minuten, bis ich mich am Vordereingang mit Menessos treffen sollte. Wir wollten mit meinem Auto nach Headlands Beach fahren. Die anderen waren schon vor einer Stunde aufgebrochen.
Die Feen wussten, dass ich mit Menessos kommen würde. Der WEC hatte sich damit einverstanden erklärt. Natürlich mussten die Feen für den Fall, dass wir uns nicht einfach ergaben, einen Plan haben. Aber welchen?
Ich eilte mit dem Mantel unterm Arm zur anderen Tür, blieb aber stehen, als mir etwas an dem Wandbild auffiel. Ich starrte die Zauberin an, als hätte ich das Bild noch nie gesehen.
Die Lautenspielerin behielt die Fische im Auge, die ihr Spiel anzog. Oder? Sie konzentrierte sich auf das Wasser und schien die Fische gar nicht wahrzunehmen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie das Wasser nutzte, um sich über ihre Gefühle klar zu werden, so wie ich, allerdings vom sicheren Ufer aus. Vielleicht versuchte sie auch, in der Wasseroberfläche ihre Zukunft zu erkennen.
Ich lief zum Schrank und griff nach meinem Koffer, klappte ihn auf, nahm die Schuhschachtel mit Nanas Kristallkugel heraus und löschte alle Lichter bis auf das Sternenzelt unter der Kuppel. Dann beschrieb ich mit meinem Besen einen Kreis auf dem Boden und setzte mich im Schneidersitz hinein. Damit das Licht sich nicht in der Kristallkugel spiegelte, wandte ich mich dem Schrank zu. Während ich die vier Himmelsrichtungen anrief, wischte ich mit dem T-Shirt meine Fingerabdrücke vom Kristall.
Mich erdend und zentrierend wog ich die schwere Kugel in meinen Händen, dann blickte ich aufmerksam in die klare Oberfläche und wechselte in den Alpha-Zustand. Binnen Sekunden
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