Fehlfunktion
Parker Higgens. Die Astronomie war eine der kleinsten Abteilungen des Laymil-Projekts, und ihre Hauptaufgabe bestand darin, Sterne zu identifizieren, die Laymil-kompatible Spektren besaßen, und die radioastronomischen Datenbanken nach Abnormitäten zu durchforsten, die auf eine Zivilisation hindeuteten. Trotz häufiger Anfragen hatte kein Lord Ruin sich je bereit erklärt, der Abteilung ein eigenes Radioteleskop zu finanzieren. Die Wissenschaftler mußten sich mit den Aufzeichnungen der Anlagen begnügen, die überall in der Konföderation aufgestellt waren.
Kempster Getchells Assistent hieß Renato Vella. Er war ein dunkelhäutiger, fünfunddreißig Jahre alter Wissenschaftler von Valencia, der sich für vier Jahre hatte beurlauben lassen, um am Laymil-Projekt mitzuarbeiten. Er war aufgeregt und begeistert zugleich, als Ione ihn begrüßte. Sie war nicht ganz sicher, ob ihre Person oder die Entdeckung verantwortlich war für seine offenkundige Nervosität.
»So, die Heimatwelt der Laymil also?« wandte sich Ione ohne Umschweife an Parker Higgens und ließ ihre Skepsis durchblicken.
»Jawohl, Ma’am«, antwortete der Direktor. Die Freude, die eigentlich mit dieser Ankündigung hätte einhergehen müssen, fehlte vollkommen. Er schien im Gegenteil sogar ausgesprochen besorgt.
»Und wo liegt sie?«
Parker Higgens wechselte einen flehenden Blick mit Kempster Getchell, dann seufzte er. »Sie war hier, in diesem System, Ma’am.«
Ione zählte im stillen bis drei. Als Higgens nichts mehr sagte, fragte sie: »War hier?«
»Ja.«
– Tranquility? Was hat das zu bedeuten?
– Es scheint eine ganz und gar merkwürdige Behauptung, aber die Beweise sprechen für sich. Warte, bis sie alles erklärt haben.
– Also schön. »Fahren Sie fort.«
»Wir haben die Daten vor zwei Tagen dekodiert«, sagte Malandra Sarker. »Wir entdeckten Aufzeichnungen eines Laymil-Raumfahrers, Besatzungsmitglied an Bord eines ihrer Schiffe. Wir waren begeistert – endlich würden wir sehen, wie ihre Schiffe ausgesehen haben, von innen wie von außen, und wie sie gesteuert wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir nämlich nichts außer Fragmenten, die wir für Raumschiffteile hielten. Nun ja, wir fanden heraus, wie die Laymil-Schiffe aussehen.« Sie erteilte dem nächsten Prozessorblock per Datavis einen Befehl, und die zugehörige AV-Säule projizierte ein Bild in Iones Augen.
Das Laymil-Schiff besaß drei deutlich unterscheidbare Sektionen. Am Bug befanden sich vier weiß-silberne metallische Ovoide; das größte im Zentrum war dreißig Meter lang, und die drei restlichen, zwanzig Meter langen waren in einem gleichseitigen Dreieck darum gruppiert. Allem Anschein nach Lebenserhaltungssysteme. Die Mittelsektion sah aus wie eine große Trommel, deren Wände aus ineinander verschlungenen backsteinroten Röhren bestanden. Sie waren so dicht gepackt, daß kein Spalt dazwischen frei war, fast wie Eingeweide. Fünf schwarze, hitzeabstrahlende Rohre ragten in gleichmäßigen Abständen verteilt im rechten Winkel aus der Basis dieser Trommel: Korrekturtriebwerke. Am Heck befand sich ein dünnes, spitz zulaufendes sechzig Meter langes Fusionsrohr, das in Abständen von fünf Metern schmale silberne Ringe trug. Unmittelbar hinter der Spitze und rings um die Austrittsöffnung des Plasmas befand sich ein silberner Schirm aus dünner Folie.
»Ist es organisch?« erkundigte sich Ione.
»Wir schätzen zu etwa achtzig Prozent«, antwortete Qingyn Lin. »Es paßt zu dem, was wir bereits über ihre Biotechnologie herausgefunden haben.«
Ione wandte sich von der Projektion ab.
»Es ist ein Passagierschiff«, fuhr Malandra Sarker fort. »Soweit wir wissen, verfügten die Laymil nicht über kommerzielle Frachtschiffe, wenngleich wir einige Tanker sowie spezialisierte industrielle Schiffe entdecken konnten.«
»Das scheint nur korrekt«, sagte Lieria mit Hilfe des kleinen weißen Vokalisierblocks, den sie in einem ihrer traktamorphen Arme hielt. »Die Laymil besaßen in ihrem kulturellen Stadium keinen Handel und keine Ökonomie. Sie tauschten technische Pläne und DNS-Muster zwischen den einzelnen Clan-Einheiten, aber es gab keinerlei auf die Erzielung von finanziellem Gewinn gerichteten Handel mit physikalischen oder biotechnologischen Artefakten.«
»Worauf es ankommt«, fuhr Malandra Sarker fort und nahm auf einem der Stühle Platz, »ist die Tatsache, daß dieses Schiff sich aus einem Parkorbit über dem Heimatplaneten der Laymil erhoben hat, um
Weitere Kostenlose Bücher