Fehlfunktion
Jannike war Direktorin des Amtes für Innere Sicherheit (ISA) von Ombey und verantwortlich für die diskrete Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im gesamten Fürstentum.
Anders als ihre mehr verdeckt operierende Schwesteragentur beschäftigte sich die ISA hauptsächlich mit der Sicherheitsüberprüfung von Politikern und der Beobachtung subversiver Elemente und jedem, der dumm genug war, das Recht der Saldanas auf den Thron in Frage zu stellen. Fünfundneunzig Prozent der Arbeit der ISA wurde von Überwachungsprogrammen durchgeführt; der Einsatz von verdeckten Agenten war auf das absolut notwendige Minimum beschränkt. Außerdem gehörte die Beseitigung von sogenannten Staatsfeinden zu ihren Aufgaben, was – im Gegensatz zur öffentlichen Meinung – eine relativ harmlose Angelegenheit war. Nur Bürger, die zur Gewalt aufriefen oder sie selbst anwendeten, wurden physisch eliminiert. Der Rest wurde einfach und unauffällig zu einer Strafkolonie der Konföderation deportiert, von der es keine Rückkehr mehr gab.
Die genauen Grenzen zwischen den Aufgabenbereichen der beiden Dienste waren hin und wieder ein wenig verwischt, insbesondere in den Asteroidensiedlungen oder was die Aktivitäten des Personals ausländischer Botschaften anging. Kirsten, die dem nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat von Ombey vorsaß, fand sich häufig in einer Situation, wo sie zwischen den beiden streitenden Parteien vermitteln mußte. Insgeheim amüsierte sie sich nicht wenig darüber, daß die beiden Agenturen trotz ihrer Aufgaben im Grunde genommen nichts weiter als halsstarrige, hierarchiegebundene Bürokratien waren.
»Tut mir leid, Sie zu stören, Ma’am«, begann Sylvester Geray, »doch die Angelegenheit scheint von außerordentlicher Bedeutung.«
»Selbstverständlich«, antwortete Kirsten. Sie übermittelte per Datavis einen Kode an eine der großen Doppeltüren und bedeutete den Dreien, ihr zu folgen. »Bringen wir es hinter uns.«
Die Tür führte in ihr privates Büro, einen geschmackvoll eingerichteten Raum in Weiß und Himmelblau, obwohl die Statussymbole des offiziellen Empfangszimmers nebenan fehlten, wo sie mit Diplomaten und Politikern sprach. Französische Fenster zeigten hinaus auf einen winzigen, von Mauern umsäumten Garten mit mehreren kleinen, eingefaßten Springbrunnen. An den Wänden reihten sich Glasvitrinen und Bücherregale, schwer beladen mit Geschenken von Besuchern und Instituten, deren Schirmherrschaft sie übernommen hatte. Auf einem Sockel in einer Nische hinter ihrem Schreibtisch thronte eine Marmorbüste von Alastair II (Allie blickte ihr über die Schulter, wie schon in ihrer Kindheit). Ein klassisches Saldana-Gesicht, breit, attraktiv und mit einem vom Bildhauer meisterlich eingefangenen Ernst. Kirsten erinnerte sich, wie ihr Bruder diesen ernsten, majestätischen Ausdruck im Spiegel geübt hatte, als er noch ein Knabe gewesen war.
Die Türen schlossen sich, und Kirsten verriegelte sie per Datavis von innen. Der Prozessorblock in ihrem Schreibtisch meldete, daß ihr Büro physisch und elektronisch sicher sei.
»Aus der Nachricht konnte ich entnehmen, daß es eine neue Entwicklung in der Ekwan- Affäre gegeben hat«, begann sie, nachdem sie in ihrem hochlehnigen Sessel hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte.
»Jawohl, Ma’am«, antwortete Jannike Dermot. »Unglücklicherweise, wie ich hinzufügen möchte.«
Kirsten winkte ihnen, sich zu setzen. »Ich habe nicht gedacht, daß es sich um gute Neuigkeiten handeln könnte«, sagte sie.
»Ich würde gerne Admiral Farquar hinzuziehen«, sagte Sylvester Geray.
»Selbstverständlich.« Kirsten erteilte dem Prozessorblock den Befehl für eine Sens-O-Vis-Konferenzschaltung der Sicherheitsstufe eins und schloß die Augen.
Die Illusion war die eines runden weißen Raums ohne besondere Merkmals mit einem ovalen Tisch in der Mitte. Kirsten saß am Kopfende, Roche Skark und Pascoe Farquar auf der einen und Jannike Dermot zusammen mit Sylvester Geray auf der anderen Seite. Interessant, daß der Computer die beiden Geheimdienstleute auf gegenüberliegende Seiten des Tisches projiziert, dachte sie.
»Ich bitte hiermit formell um Genehmigung eines systemweiten Alarms der Stufe zwei«, begann der Admiral ohne weitere Umschweife.
Damit hatte Kirsten überhaupt nicht gerechnet. »Sie glauben, Laton will uns angreifen?« fragte sie ein wenig bestürzt. Nur Kirsten konnte die Alarmstufe zwei autorisieren, die dem Militär gestattete, die
Weitere Kostenlose Bücher