Fehlfunktion
getragen. Dean riß das Gaußgewehr hoch.
»Er gehört mir!« rief sie. Die blaue Zielerfassungsgraphik ihres Thermokarabiners zentrierte sich auf einen Baum, der fünf Meter vor dem flüchtenden Mann stand; die Energiepulse jagten geradewegs durch den schlanken Stamm hindurch. Rauchwölkchen und Flammen schossen hervor. Gerald Skibbow versuchte auszuweichen, als der Baum in seinen Weg fiel. Eine weitere Salve von Schüssen, und der Dschungel rings um ihn stand in Flammen. Ein letzter Schuß auf das Knie riß ihm die Beine unter dem Leib weg.
Die drei Agenten rannten zu der Stelle, wo er alle viere von sich gestreckt auf den feuchten, schlammüberkrusteten Kriechpflanzen lag.
»Was ist passiert?« fragte Jenny. Sie hatte Dean beauftragt, den Gefangenen zu bewachen. Skibbow bemühte sich nach Leibeskräften, soviel Schwierigkeiten wie nur irgend möglich zu machen, wenn er nicht die ganze Zeit die Mündung eines Gaußgewehrs im Rücken spürte.
Dean hielt die Handschellen hoch. Sie waren verriegelt und intakt. »Ich habe einen Gegner gesehen«, erklärte er. »Ich habe mich höchstens für eine Sekunde abgewendet.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Jenny. »Ich wollte Ihnen keinen Vorwurf machen.« Sie beugte sich über Gerald Skibbow, der sie von unten herauf hämisch angrinste, und riß seinen rechten Arm hoch. Am Handgelenk war eine dünne rote Linie zu erkennen: eine alte Narbe. »Sehr schlau«, sagte sie müde. »Das nächste Mal befehle ich Dean, dir die Beine unter den Knien wegzuschießen. Dann sehen wir wenigstens, wie lange du brauchst, um neue Füße nachwachsen zu lassen.«
Gerald Skibbow lachte nur. »Soviel Zeit bleibt dir nicht mehr, Ma’am Hexe.«
Sie richtete sich auf, und ihre Wirbelsäule knackte, als wäre sie hundertfünfzig Jahre alt. Sie fühlte sich älter. Das Feuer knisterte laut in den umstehenden Büschen. Die Flammen wurden nur wenig vom feuchten grünen Blattwerk eingedämmt.
Bis zur Isakore waren es noch immer gut vier Kilometer, und der Dschungel wurde immer dichter. Die Schlingpflanzen wickelten sich um die Baumstämme wie dicke Hauptschlagadern und bildeten ein dichtes Flechtwerk aus grünem Geflecht zwischen den einzelnen Stämmen. Die Sichtweite betrug weniger als fünfundzwanzig Meter, und auch das nur mit aufgerüsteten Sinnen.
Wir werden es nicht schaffen, erkannte sie.
Seit ihrem Aufbruch hatten sie Unmengen an Gaußmunition verschossen. Ihnen war keine andere Wahl geblieben; alles andere hatte keinerlei Wirkung gegen den Feind gezeigt. Selbst die beiden Thermokarabiner besaßen nur noch vierzig Prozent Restkapazität.
»Stellen Sie ihn auf die Beine!« befahl Jenny knapp.
Will packte Gerald Skibbow an der Schulter und riß ihn hoch.
Weißes Feuer platzte aus dem Boden unter Jennys Füßen. Der feuchte Lehmboden riß auf und spuckte blendende Kugeln aus, die in Spiralen an ihren Beinen emporliefen wie eine Flüssigkeit, die der Gravitation trotzte. Jenny schrie vor Schmerz, als ihre Haut Blasen warf und innerhalb des Kampfanzugs verbrannte. Ihre neurale Nanonik isolierte die Nervenstränge und eliminierte die rohen Impulse mit analgetischen Blocks.
Will und Dean feuerten willkürlich mit den Gaußgewehren in den nichtssagenden, trügerisch stillen Dschungel in der Hoffnung, einen der Feinde zu erwischen. Elektronenionisierungsgranaten zerfetzten sämtliche Bäume in der Nähe. Fetzen von saftiger Vegetation jagten durch die Luft wie ein lockerer Vorhang, hinter dem weitere Explosionen dröhnten.
Die dickflüssigen Perlen aus weißem Feuer lösten sich auf, als sie Jennys Hüften erreicht hatten. Sie biß die Zähne gegen den massiven Schmerz von ihren Beinen her zusammen. Sie hatte Angst wegen der Verletzungen, vor deren schlimmsten Auswirkungen die neurale Nanonik sie abschirmte. Sie hatte Angst, daß sie nicht mehr laufen könnte. Das medizinische Programm überflutete ihren Verstand mit roten Warnsymbolen, allesamt über einem Diagramm ihrer Beine wie Bienen über dem Honigtopf. Sie spürte, daß sie das Bewußtsein zu verlieren drohte.
»Wir können dir helfen«, flüsterten silberhelle Stimmen im Chor.
»Was?« fragte sie desorientiert. Sie saß auf dem lehmigen Boden, um die Belastung von den Beinen zu nehmen. Ihre bebenden Muskeln hätten sowieso jeden Augenblick nachgegeben.
»Alles in Ordnung, Jenny?« fragte Dean. Er stand mit erhobenem Gaußgewehr da und hielt es drohend auf die zerfetzten Bäume gerichtet.
»Haben Sie etwas gesagt?«
»Ja. Ich
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