Fehlfunktion
Die Maranta schob sich unendlich langsam über den phosphoreszierenden blauen Fleck hinweg, während die Gramine langsam zurückfiel.
Sie hatten keine Spur mehr von ihrer Beute entdeckt. Genausowenig wie einen Beweis, daß die Lady Macbeth den Aufprall auf die Ringe überlebt hatte. Keine Wrackteile – obwohl die Chance, daß sich jemals welche finden würden, eher dünn war. Falls die Lady Macbeth bei ihrem Aufprall detoniert war, würde das austretende Plasma ihrer Antriebe den größten Teil des Schiffs in Sekundenbruchteilen verdampft haben. Und falls es doch Fragmente gab, die das überstanden, so würden sie über ein ziemlich großes Gebiet verstreut sein. Der Ring war achtzig Kilometer dick; genügend Volumen, um ein ganzes Geschwader darin zu verlieren.
Was die Besessenen weiter behinderte war die Art und Weise, wie ihre energistisch aufgeladenen Körper mit der Elektronik an Bord interferierten. Die Sensoren, die längst am Limit ihrer Empfindlichkeit arbeiteten, um das vor ihnen liegende Chaos zu entschlüsseln, erlitten immer wieder Fehlfunktionen oder wurden von Spannungsspitzen durchflutet, was zu zahlreichen Lücken im Gesamtbild führte.
Doch die Besatzungen der beiden Schiffe blieben hartnäckig. Wrackteile waren so gut wie unmöglich zu entdecken, aber ein operierendes Raumschiff strahlte unweigerlich Wärme und elektromagnetische Impulse ab, außerdem entwickelte es einen starken magnetischen Flux. Falls die Lady Macbeth noch da war, würden sie sie irgendwann finden.
Die Vasallen der Soldatenkaste blieben bei ihnen, bis das Hovercraft den Kamm des Tals von Coastuc-RT erreicht hatte. Von Osten her näherten sich rasch weitere dunkle Regenwolken, getragen von einer frischen Brise. Reza schätzte, daß ihnen gerade ausreichend Zeit bleiben würde, um das andere Hovercraft zu erreichen, bis der Regen einsetzte. Land und Himmel voraus lagen Grau in Grau. Im Norden war die rote Wolke von einer deprimierenden Korona umgeben, und es sah aus, als flösse Magma durch die Luft, leicht wie Distelwolle.
»Aber warum nur?« fragte Kelly, sobald die Soldaten hinter ihnen zurückblieben. »Du hast doch gesehen, wie gut sie bewaffnet sind! Wir wären sicher gewesen, wenn wir hiergeblieben wären.«
»Unsinn. Erstens liegt Coastuc-RT viel zu nah am Juliffe-Becken. Wie dein neuer Freund Shaun Wallace bereits gesagt hat, die Wolke dehnt sich aus. Sie erreicht das Tal lange bevor Joshua wieder hier ist. Zweitens ist dieses Tal taktischer Selbstmord. Wer die Hügel über dem Dorf erreicht, kann es nach Belieben bombardieren, bis die Einwohner aufgeben. Oder wahrscheinlicher, bis alles zerstört ist. Es gibt nicht genügend Soldaten und Jäger, um die Hänge frei von Feinden zu halten. Coastuc-RT ist weit offen für alles, was die Besessenen auf die Tyrathca werfen. Und diese dämlichen Xenos haben nichts anderes im Sinn, als riesige Statuen von Weltraumgöttern zu errichten und sich zum Beten zu versammeln. Diesen Mist können wir nicht gebrauchen. Wir allein haben eine viel größere Chance zu überleben; wir sind beweglich und gut bewaffnet. Und deswegen werden wir morgen früh beim ersten Tageslicht aufbrechen und genau das tun, was Joshua uns empfohlen hat: Wir geben Fersengeld, und zwar durch die Berge.«
Heftige Regenfälle machten den starken Scheinwerfern der Hovercrafts buchstäblich einen Strich durch die Rechnung: Sie drangen nur fünf bis sechs Meter weit, bevor sie von einer Wand aus Wasser aufgehalten wurden. Der Regen verbarg die Monde, die rote Wolke, sogar der Boden neben der Reling war kaum zu sehen. Die Piloten navigierten allein mit Hilfe ihrer Trägheitsleitsysteme. Sie benötigten vierzig Minuten, um die Strecke zurück zum ersten Turmhaus am Fluß hinter sich zu bringen.
Sewell hatte eine halbmeterlange Fissionsklinge in seinen linken Ellbogensockel gesteckt und baute sich damit vor dem zugemauerten Eingang auf. Wasser knisterte und zischte, als die Klinge zum Leben erwachte. Er setzte die Spitze sanft an den verwitterten organischen Zement und drückte. Die Klinge sank hinein, und ein dickes Rinnsal von rötlichem Sand drang aus dem Loch, nur um augenblicklich vom Regen weggewaschen und im Gras zu Sewells Füßen verteilt zu werden. Erleichtert über die Tatsache, wie einfach er voran kam, begann er den Schnitt zu erweitern.
Kelly trat als vierte ein. Sie stand in der staubigen Dunkelheit und schüttelte die Nässe aus ihrem Anorak, bevor sie die Kapuze nach hinten schlug.
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