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Fehlfunktion

Fehlfunktion

Titel: Fehlfunktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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Reserven. Jede Bewegung war inzwischen zu einer komplizierten Angelegenheit geworden, und seine Muskeln reagierten mit der Gebrechlichkeit von Altersschwäche. Mehrere Male im Verlauf der letzten Stunden hatte er an Krämpfen gelitten, die seine Gliedmaßen und den Rumpf durchliefen. Seine neurale Nanonik schien außerstande, diese Krämpfe unter Kontrolle zu bringen. Also lag er auf dem Boden seines kleinen Bootes, starrte auf die Wolke über sich und wartete, bis die schmachvollen spastischen Zuckungen wieder abgeklungen waren.
    Zu diesen Zeiten glaubte er manchmal, sich selbst sehen zu können; eine winzige, verschrumpelte schwarze Gestalt, die alle viere von sich gestreckt auf dem Boden eines Ruderboots lag (es erinnerte verblüffend an jenes Fahrzeug, das er ursprünglich gestohlen hatte) und über einen zäh fließenden weißen Fluß davongetragen wurde, der sich schrecklich in die Länge zog. Es gab nichts ringsum, kein Ufer, keine Bäume, nichts, nur den roten Himmel, ein seidenes Band, das sich in der leichten Brise wand, während weit, weit voraus ein kleiner Fleck Sternenlicht mit schwer faßbarer Schüchternheit lockte. Lebhafte Stimmen, ganz an der Grenze des Hörbaren, umringten ihn von allen Seiten. Er war sicher, daß sie über ihn redeten, obwohl er nie auch nur ein einziges Wort deutlich verstand. Doch die Stimmen waren da, abweisend und voller Verachtung.
    Nicht ganz ein Traum.
    Er erinnerte sich, während er sanft auf dem Fluß dahinglitt, an vergangene Missionen, frühere Kameraden, alte Schlachten, Siege und vernichtende Niederlagen. Die Hälfte der Zeit hatte er nicht gewußt, gegen wen oder für was er eigentlich kämpfte. Für die richtige oder die falsche Seite? Und woher hätte er auch wissen sollen, welche welche war? Er, ein einfacher Söldner, eine Hure der Gewalt und Vernichtung und des Todes. Er hatte für jene mit dem meisten Geld gekämpft, für Konzerne und Plutokraten und manchmal sogar für Regierungen. In seinem Leben hatte es keine richtige und keine falsche Seite gegeben. In dieser Hinsicht zumindest hatte er es leicht gehabt; keine der schwerer lastenden Entscheidungen.
    Weiter und weiter trieb er auf dem Fluß, diesem weißen Band, das durch den roten Himmel schwebte, immer weiter. Die Reise war sein Leben. Er konnte sehen, woher er gekommen war, und er konnte sehen, wohin er ging. Ziel und Start unterschieden sich nicht. Und es gab keinen Weg zu entkommen. Außer natürlich, wenn er aus dem Boot sprang. Wenn er sich entschloß, in dem riesigen, tückisch roten Himmel zu ertrinken.
    Aber das kommt so oder so, dachte er. Keine Notwendigkeit zur Eile.
    Wenigstens die alte Entschlossenheit war noch geblieben, unter dem oberflächlichen Selbstmitleid und der wachsenden Besorgnis über seinen körperlichen Zustand war noch alles wie zuvor. Chas war froh darüber. Auf direktem Weg zum bitteren Ende, denn dorthin war er unterwegs. Der Stern strahlte hell am Ende des Flusses, fast wie ein Heliograph. Und er schien näher gekommen zu sein.
    Nein, wirklich nicht ganz ein Traum.
    Chas ruckte erschrocken hoch, und das Boot schwankte gefährlich. Die beiden Dörfer, die an der Flußmündung gewacht hatten, lagen längst hinter ihm. Er befand sich auf dem Juliffe selbst. Die Hultain-Marsch, die sich in der Umgebung von Lalonde über das nördliche Ufer hinzog, war nirgendwo zu sehen. Der Fluß hätte genausogut ein Ozean sein können, soweit Chas es sehen konnte. Ein Ozean voller Schneelilien, soweit seine aufgerüsteten Augen reichten. Dies war ihr Meridian, das Ende ihrer kontinentalen Reise. Sie stapelten sich zu Fünfen oder Sechsen aufeinander, zerdrückten sich gegenseitig, im Verwelken begriffen und doch so dicht zusammen, daß sie einen gigantischen Federbusch bildeten. Ein perfekter Reflektor für das rote Licht vom Himmel, von der Wolke, das Chas’ gesamte Welt in einen dimensionslosen roten Nebel verwandelte.
    Das zerbrechliche Boot knarrte und erzitterte, als die Strömung es tiefer in den schwimmenden Brei drückte. Chas klammerte sich reflexhaft an die Bordwand. Er durchlebte eine Schrecksekunde, als irgend etwas vorn am Bug mit einem platzenden Geräusch zersplitterte, doch das Boot war so flach, daß es hochgedrückt und nicht untergetaucht wurde. Chas war inzwischen sicher, daß es auf einer Schicht verrottender Schneelilien trieb und nicht mehr direkt auf dem Wasser.
    Trotz ihrer atemberaubenden Masse hatten die Schneelilien keinen Einfluß auf die unnachgiebige

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