Fehlfunktion
höflich, als sie sich wieder aufrichtete. »Sie meinen, ich sollte mir keine Gedanken machen?«
»Nein, das habe ich nicht behauptet. Aber die Sorge ist eine Schülerin des Teufels, und sie läßt die Seele verrotten.«
»Nun, wenn einer alles über Seelen weiß, dann wohl Sie, Mister Wallace.«
Shaun kicherte leise.
Kelly warf einen Blick auf die rote Wolke über ihnen. Sie waren inzwischen seit einer halben Stunde unter ihr. Sie war dichter als noch am Tag zuvor, und die Bänder, aus denen sie bestand, bewegten sich träge. Kelly war sich der Masse bewußt, des Gewichts und der Schwere, die nötig war, um nicht nur das Licht der Sonne, sondern die Naturgesetze selbst auszulöschen, denen jedes Leben unterlag. Sie war von einer unbestimmten Furcht erfüllt, von Emotionen, die sie deprimierten, als würde sie das Sens-O-Vis einer obskuren Xeno-Zeremonie betrachten. »Diese Wolke bedeutet für Ihresgleichen sehr viel, nicht wahr?« fragte sie.
»Nicht die Wolke selbst, Mrs. Kelly. Die Wolke ist gar nichts, nur das, was sie repräsentiert. Das ist, als würden Eure Träume Gestalt annehmen. Für mich und für alle von uns verdammten Seelen bedeutet sie Freiheit. Ein kostbares Gut, wenn man wie ich siebenhundert Jahre lang darauf verzichten mußte.«
Kelly richtete ihre Aufmerksamkeit auf das zweite Hovercraft. Horst Elwes und Russ saßen auf der Bank hinter Ariadne, die Gesichter in den Fahrtwind gerichtet. Über ihnen donnerte es ununterbrochen, als wäre die Wolke die straff gespannte Haut einer gigantischen Trommel. Kelly sah, wie Russ sich eng an den Priester drückte. Die einfache, kindliche Geste grenzenlosen Vertrauens war unendlich ergreifend.
Der Entzug überfiel Shaun Wallace ohne die geringste Vorwarnung. Er verspürte den schrecklichen Exodus, die Flucht der Seelen, die aus diesem Universum verjagt wurden, wie eine gewaltige Flutwelle gegen seine eigenen zerbrechlichen Besitztümer anbranden. Ihr Wehklagen und ihr Haß ergossen sich aus dem Jenseits zurück in dem unheimlichen, nicht enden wollenden Chor, gefolgt von der unerträglichen Raserei derjenigen, die ihnen nachgefolgt waren, den rechtmäßigen Eigentümern der besessenen Körper. Sie alle haßten sich, stürzten sich aufeinander, kämpften gegeneinander. Der Konflikt durchdrang Shauns Schädel, zerrte an seinem Verstand. Er stöhnte auf, und seine Augen weiteten sich in angstvollem Entsetzen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich tiefste Verzweiflung ab, dann warf er den Kopf in den Nacken und heulte auf.
Es war ein Schrei, den Reza sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Die Qualen und der Schmerz, der sich in diesem kataklysmischen Schrei entluden, sprachen für einen ganzen Planeten. Trauer und das Gefühl von Verlust paralysierten ihn, ein so profunder Verlust, daß er das Ende des Universums herbeisehnte, nur damit es vorbei war.
Der Schrei endete, als Shauns Lungen keine Luft mehr hatten. Unsicher drehte sich Reza auf der vorderen Sitzbank um. Tränen strömten über die Wangen des Besessenen. Er atmete ein und schrie erneut.
Kelly hatte die Hände auf die Ohren gepreßt. »Was ist?« brüllte sie Shaun Wallace an. »Was ist los? Reden Sie doch!« Sie schloß die Augen, als er wieder aufheulte.
Reza bemühte sich, das Geräusch abzublocken und seine beiden Hunde Fenton und Ryall vermittels Affinität zu beruhigen. »Pat?« rief er per Datavis. »Kann Octan irgend etwas erkennen?«
»Nicht die Spur«, antwortete Rezas Stellvertreter vom zweiten Hovercraft aus. »Was ist bei euch los? Wallace hat uns einen höllischen Schrecken eingejagt.«
»Keine Ahnung.«
Kelly schüttelte Wallace fragend am Arm. »Was ist denn los? Was stimmt nicht? So reden Sie doch, Mann!« Aufkeimende Panik verlieh ihrer Stimme einen schrillen Unterton. »Shaun!«
Wallace verstummte und atmete tief durch. Seine Schultern bebten. Er senkte den Kopf und starrte Reza aus haßerfüllten Augen an. »Ihr!« zischte er feindselig. »Ihr habt sie getötet!«
Reza blickte ihn an, und die Silhouette des Besessenen waren von einer gelben Zielerfassungsgrafik umrandet. Die Mündung des Gaußgewehrs zielte genau zwischen Wallace’ Augen. »Wen getötet?«
»Die Stadt. Die ganze Stadt! Ich habe gespürt, wie sie gegangen sind. Tausende und Abertausende, die wie Asche in einem Sturm zurück in das Jenseits geblasen wurden! Eure Teufelsbombe ist losgegangen. Nein, jemand hat sie gezündet. Was für Bestien seid Ihr doch, daß Ihr so ohne Unterschied tötet!«
Reza
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