Fehlschuss
mit
ihnen, wie man mit einem kranken Pferd redet. Nun war also Karin das kranke
Pferd.
„Von Anfang an! Du bist mit dem Auto gefahren?“
„Ja.“
„Welche Strecke?“
„Brenner, Verona, Florenz.“ Langsam schien sie ruhiger zu werden. „Von
Florenz aus nach San Filomento. Das ist ein kleines Nest, im April noch nicht
so überlaufen. Ich hab dort in einem Hotel gewohnt, das ich von damals noch
kannte.“
„Vor acht Jahren? Oder warst du in der Zwischenzeit nochmal dort?“
„Nein.“
Häkchen an „Punkt zwei“.
„Gut! Weiter! Du bist angekommen. Was dann?“
„Koffer ausgepackt, mich aufs Bett gelegt und von schönen Männern
geträumt“, grinste sie.
Genau da hatte er sie hinbringen wollen, zum „Normalbetrieb“, zu ihrer
heiteren Gelassenheit. „Oh, war ich auch dabei?“, fragte er deshalb und
kuschelte sich an Karin.
„Du warst immerhin in der ersten Reihe.“
„Mit wie viel anderen?“
„Fünf, sechs …“
„Aha!“
„Fiel mir nicht leicht, mich zu entscheiden“, murmelte sie und gab
Chris einen langen Kuss.
„Hab ich dir schon mal gesagt, dass du ein richtiges Scheusal bist?“,
sagte er leise, als er wieder Luft bekam. „Weiter?“
„Weiter! Ich hab also erst mal ausgeschlafen. Am nächsten Tag … warte
…Ja, zuerst bin ich durch die Gegend gefahren und hab Ausschau gehalten nach
markanten Gebäuden. Ich wollte romantisch gelegene Fattorias, alte
Bruchsteingemäuer — na, du weißt schon.
Am zweiten Tag das gleiche Spiel. Gebäude, Ruinen … Scheiße! Na klar!
Aber … aber das wäre grotesk!“
„Was?“ Chris bemühte sich, so gelassen wie möglich zu klingen, obwohl
sein Herz hart gegen die Rippen schlug. Mit fahrigen Fingern zündete er zwei
Zigaretten an und steckte Karin eine davon zwischen die Lippen.
Sie nahm einen tiefen Zug, blies geräuschvoll den Rauch wieder aus und
stierte den blauen Wölkchen hinterher. „Also, pass auf: Nein — das ist wirklich
zu blöd!“
„Erzähl es trotzdem!“
„Okay, okay! Ich bin am zweiten Tag schon am Nachmittag nach San
Filomento zurückgekommen. Weißt du, ich hatte tagelang fast nur im Auto
gesessen und war ziemlich fertig. Ich hab mich ein bisschen hingelegt, und dann
hab ich vor dem Abendessen noch einen Spaziergang gemacht. Du musst wissen, San
Filomento liegt in einem wunderschönen Tal, ganz für sich, nur noch ein paar
Höfe verstreut drum herum. Hinter dem Hotel geht gleich ein schmaler Weg nach
oben auf die Hügel. Da bin ich hoch. Es ist so eine Art Rundweg, sehr beliebt
bei den Touristen wegen der Aussicht. Es war ein traumhaft schöner, klarer
Abend, und da oben waren noch jede Menge Leute unterwegs. Und es war grandios,
sagte ich dir. Die Sonne stand ziemlich tief in meinem Rücken. Unten im Tal
blühten schon die Wiesen, und die Sonne tauchte alles in fast unwirkliche
Farben. Ich weiß noch, dass ich mich geärgert habe, weil ich nur die kleine
Fototasche dabei hatte. Aber ich hab trotzdem wie wild draufgehalten. Die Sonne
sank tiefer, und auf einmal war das ganze Tal rot überschwemmt. Es war ein
Traum!“
Chris wagte nicht, diese klaren Erinnerungen zu unterbrechen, obwohl
rot überschwemmte Täler ihn im Moment einen Dreck interessierten. Andererseits
war es großartig zu sehen, wie Karin in ihrem Element war, mit leuchtenden
Augen erzählte. Wie ein Kind, das die letztjährige Weihnachtsbescherung
beschreibt.
„Ich wollte gern noch eine Aufnahme von einem einzelnen Baum machen,
der einen riesigen Schatten warf. Aber dafür hätte ich das Tele nehmen müssen.
Nur war es im Prinzip schon zu dunkel — zumindest, wenn man kein Stativ dabei
hat.“
„Wieso?“, unterbrach Chris, der keine Ahnung vom Fotografieren hatte,
sie nun doch.
„Durch die Länge des Objektivs, die vielen Linsen und unvorteilhafte
Brechungswinkel ist es längst nicht so lichtstark, wie ein Normalobjektiv zum
Beispiel. Und wenn du die Kamera nicht ganz ruhig halten kannst, verwackeln die
Aufnahmen, weil die Belichtungszeit zu lang wird.
Okay, ich wollte also diesen Baum. Neben mir war eine Art Steilhang
mit großen Felsblöcken. Ich hatte ziemliche Schwierigkeiten, da hochzukommen,
runter war´s übrigens noch schlimmer. Gut, ich bin also da rauf und hab die
Kamera auf einen Felsblock gelegt, als Stativersatz sozusagen. Ich war ziemlich
hektisch, weil es so schnell gehen musste. Das Licht änderte sich von Sekunde
zu Sekunde. Ja, und als ich dann abdrückte, sind sie mir ins Bild gelaufen.“
„Was?
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