Fehlschuss
Wahrscheinlich ist er nicht in einem
Hotel abgestiegen, und er hat sich keinen Leihwagen gemietet. Zumindest nicht
im Stadtgebiet. Wir ziehen unsere Kreise jetzt weiter. Aber viel Hoffnung hab
ich nicht.“
Mit einer resignierten Bewegung legte sie den Löffel zur Seite. „So
langsam gehen mir die Ideen aus.“
„Mal angenommen“, begann Karin zögernd, „,mal angenommen, an der
Theorie von Chris mit dem Liebhaber alter Kameras ist was dran. Könnte man da
nicht ansetzen? Ich kenne zwei, drei Fotohändler, die auf alte Kameras
spezialisiert sind. Über die käme man mit Sicherheit an Sammler, Vereine und
so.“
Die Polizistin zögerte kurz. Aber dann griff sie nach dem einzigen
Strohhalm, den dieser Fall noch bot. „Wer sind die Händler?“, fragte sie und
schlug ihr Notizheft auf.
„Der eine ist Zabel in Ehrenfeld. Der andere hat seinen Laden in
Lindenthal. Foto Hundgeburt.“
Chris und Susanne wieherten gleichzeitig los.
Als Susanne schließlich grinsend die Angaben notierte, murmelte sie:
„Großer Gott, konnte der nicht den Namen seiner Frau annehmen?“
„Seine Frau ist eine geborene Jungverdorben“, versetzte Karin trocken.
„Oh!“ Susanne hob irritiert den Kopf. „Ja, dann!“
Auf dem Weg ins Marienkrankenhaus, wo Chris sich auf Geheiß von Anne
die Fäden ziehen lassen sollte, haderte Karin mit Staatsanwalt Zenker. Susanne
hatte ihnen zum Schluss nämlich eröffnet, dass er für Chris keine akute Gefahr
mehr sah, da Viego in Haft saß. Auch die Sonderkommission war drastisch
verkleinert worden. Der Personenschutz für Chris wurde also aufgehoben.
„Und wenn die Spanier doch einen anderen schicken?“, wetterte Karin und
bremste hart vor einer roten Ampel. „Was dann? Ein Arschloch von Staatsanwalt
ist das!“
„Das ist er“, lachte Chris und sah einer Gruppe von Schulkindern nach,
die vor ihnen die Straße überquerte. „Aber im Ernst. Ich glaube, Zenker hat
Recht. Wer auch immer Viego beauftragt hatte, mich umzubringen — ihm sollte
längst klar sein, dass er mich überschätzt hat. Er weiß, dass ich nichts weiß.“
„Heißt das, es ist vorbei?“
Er biss sich auf die Lippen. Rational hätte er nicht begründen können,
warum er jetzt „Nein!“ sagte. Er machte nicht einmal den Versuch, und auch
Karin verlangte keine Erklärung. Irgendwie war beiden klar, dass dieses
intuitive „Nein“ seine Berechtigung hatte.
Gleichzeitig setzte sich in ihm die bittere Erkenntnis fest, dass sie
vielleicht nie würden klären können, wer der zweite Mann in der Toskana war.
Wie sollte die Polizei einen Sammler von Kameras mit Manuel Viego in Verbindung
bringen? Wenn es denn überhaupt eine Verbindung gab. Sicher, es war einen
Versuch wert. Andererseits konnte es gut sein, dass Susanne nur Zeit und
Steuergelder verschwendete.
Chris musste ein paar Minuten warten, ehe Anne Zeit für ihn hatte.
Außer einem gläsernen Instrumentenschrank gab es in dem kleinen
Behandlungszimmer nicht viel zu sehen, und er langweilte sich. Nachdem er eine
Weile in den tristen Innenhof des Krankenhauses geblickt hatte, setzte er sich
auf die Behandlungsliege, summte „Nights in White Satin“ vor sich hin und ließ
die Beine im Takt dazu baumeln. Karin wartete draußen im Gang, saß auf einem
dieser grässlichen grauen Plastikstühle, die den Hintern im Winter eiskalt und
im Sommer feucht machten.
Als Anne endlich kam, murmelte sie nur einen kurzen Gruß. Sie sah
bitterer aus denn je. Die Mundwinkel waren herabgezogen, und die Falten daneben
tief eingekerbt. Während sie den Verband am Oberschenkel aufschnitt, griff sie
an. Frontal und ohne Vorwarnung.
„Was willst du mit der?“
Chris verschlug es im ersten Augenblick die Sprache. „Wie meinst du
das?“, fragte er dann mühsam beherrscht.
„Sie passt nicht zu dir!“, zischte die kleine Ärztin. „Halt gefälligst
still!“
„Okay, Anne. Können wir uns darauf einigen, dass ich mein Leben
lebe, ich mit dieser Frau zusammen sein möchte und nicht du ?“
„Von mir aus. Hose hoch, und beweg den Kopf nicht. Komm dich nur nicht
ausheulen irgendwann!“
Er schluckte die Bemerkung hinunter, dass sie mit Sicherheit die
Letzte wäre, bei der er sich ausheulen würde. Er schluckte auch seine Wut
hinunter — wieder einmal.
„Was soll das, Anne? Erst versuchst du ständig, mich zu verkuppeln,
und jetzt ist es dir auch nicht recht.“ Plötzlich dämmerte es ihm. „Du bist
doch nicht etwa eifersüchtig?“
Sie rupfte den letzten Faden aus
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