Fehlschuss
ein bisschen peinlich, und
das Getucke von Klaus war schwer auszuhalten. Trotzdem mochte er die beiden auf
Anhieb. Und später am Abend raunte ihm Achim ins Ohr: „Meine Hochachtung! Ich
hätte nie gedacht, dass es jemand schafft, unsere Bernie so zum Strahlen zu
bringen.“
Im Gegenzug sagte Lea bei ihrer ersten Verabredung zu dritt: „Sie ist
echt klasse!“
Die Begegnung zwischen Karin und Luise war ein Fall für sich: So
gegensätzlich sie waren — sie liebten sich vom ersten Moment an und redeten
miteinander, als wären sie schon seit Jahren befreundet. Prompt erhielt Chris
dann auch den Auftrag von seiner Mutter, zum nächsten Kaffee-Donnerstag „aber
auch ja“ Karin mitzubringen.
Wie anders hatte sie vor zehn Jahren auf Anne reagiert. Sie nahm sie
hin wie eine Warze, die zwar nicht weiter störte, aber trotzdem hässlich
anzusehen war. Nie war auch nur ein kritisches Wort über ihre Lippen gekommen,
doch Chris wusste auch so, was Luise von ihrer „Schwiegertochter“ hielt. Und
nicht ein Mal, seit es den Kaffee-Donnerstag gab, hatte seine Mutter darauf
gedrängt, Anne dabeizuhaben. Es schien ihr vollauf zu genügen, ihr bei
Geburtstagen, zu Weihnachten und an Ostern zu begegnen.
Dass Luise und Karin so aufeinander flogen, hatte vielleicht mit ihrer
beider Direktheit zu tun.
Sie saßen kaum fünf Minuten, als Luise auch schon fragte: „Was haben
Sie mit Ihrem Bein gemacht?“
„Es ist weg“, antwortete Karin schlicht.
Und ohne die geringste Verwirrung erkundigte sich Luise, ob denn so
eine Prothese nicht furchtbar lästig sei. Gleich darauf waren beide mit der
größten Selbstverständlichkeit in ein Gespräch über die Vor- und Nachteile
künstlicher Gliedmaßen verstrickt. Die Anwesenheit von Chris schienen sie
darüber völlig zu vergessen. Jedenfalls kam er eine ganze Weile nicht mehr zu
Wort.
Irgendwann in diesen hektischen Tagen meldete sich auch Susanne. Der
Raubmord an einer alten Frau im rechtsrheinischen Mülheim hielt das Dezernat
für Todesermittlungen zurzeit auf Trab. Und da im Fall Lautmann keine Eile mehr
geboten war, kümmerten sich momentan nur noch Klippstein und Müller sporadisch
darum. Sie hatten mit Frau Hundgeburt Kontakt aufgenommen, die sich als wahrer
Quell an Informationen entpuppte, was Sammler und einschlägige Vereine betraf.
Wann immer sie eine Stunde Zeit fanden, würden die beiden Polizisten jetzt
Befragungen durchführen und Karins Kamera suchen. Aber es würde dauern.
Carlos Viego schwieg immer noch beharrlich, und die Ermittlungen der
Italiener, die so vielversprechend begonnen hatten, verliefen mehr und mehr im
Sande.
Einzig und allein die Kollegen von der Drogenfahndung platzten vor
Euphorie. Durch die bereitwilligen Hinweise von Geseke gelang es ihnen, einen
großen Dealerring in Düsseldorf zu sprengen, und eine Ladung mit mehreren Kilo
Kokain an der polnischen Grenze abzufangen.
Es war Susanne anzusehen, dass sie mit der Entwicklung des Falls
unzufrieden war. Aber Chris hatte keinen blassen Schimmer, wie er seine
Freundin hätte aufmuntern können.
Als er kurz darauf Hellwein zufällig in der Stadt traf und spontan
einen Kaffee mit ihm trank, merkte er, dass auch dem Oberkommissar die
Geschichte nicht aus dem Kopf ging. Da Susanne vollauf mit dem Mord in Mülheim
beschäftigt war, lieferten Klippstein und Müller alle zwei, drei Tage einen
Bericht an ihn. Aber wo Carlos in Köln untergeschlüpft war, blieb ein
Geheimnis, und die Überprüfung sammelwütiger Kameraliebhaber entpuppte sich als
mühsame Kleinarbeit. „Wissen Sie“, sagte Hellwein, während er nachdenklich in
seinem Espresso rührte, „ich hab in meiner Freizeit nochmal alle Fakten
abgeklopft, aber da ist nichts. Ich seh einfach kein Motiv. Manchmal frage ich
mich, ob die Lösung des Falls nicht ganz einfach ist. Vielleicht sehen wir den
Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.“
„Und Viego schweigt immer noch?“, hakte Chris nach.
„Wie ein Grab. Wenigstens konnten wir jetzt einen DNA-Abgleich
machen. Spuren auf der Kleidung von Lautmann sind eindeutig von ihm, das Blut
in Ihrem Auto ebenfalls. Schön und gut, hilft uns jedoch nicht, die
Hintermänner festzusetzen.“
Chris hörte deutlich die Frustration in Hellweins Stimme. Aber auch
ihm waren die Ideen ausgegangen. Sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil er mit
anderen Dingen beschäftigt war. Mit Karin, mit seinem Alltag, der sich so
schlagartig verändert hatte — und den er jede Stunde mehr zu schätzen
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