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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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der Stirn. „Eifersüchtig? Nee, du,
das hab ich nicht nötig. Ich hab ja schließlich noch zwei Beine!“
    Was Chris davon abhielt, ihr einfach ins Gesicht zu schlagen?
Vielleicht der letzte Funke Verstand. Vielleicht auch ihr mit einem Mal
feuerrotes Gesicht, ihr Gestammel: „Gott, was hab ich gesagt? … Chris … es tut
mir Leid … Ich wollte …“
    Den Rest hörte er nicht mehr. Er stürzte nach draußen, rannte an der
verdutzten Karin vorbei Richtung Ausgang. Um sich herum nahm er nichts mehr
wahr, alles wurde überschwemmt von ohnmächtigem, hilflosem Zorn.
    Kurz vor der Tür ging ihm auf, dass Karin unmöglich so schnell folgen
konnte. Schuldbewusst ging er über die roten Markierungen am Boden zurück, traf
sie auf der Hälfte des Weges und passte sich ihrem Schritt an.
    Sie hatten Gott sei Dank Karins Wagen genommen, denn er war so voller
Wut, dass er am Steuer eine Gefahr für seine Mitmenschen geworden wäre. Der
Zorn knipste jeden klaren Gedanken in ihm aus, ja, er merkte nicht einmal, dass
Karin nicht nach Hause fuhr, sondern stadtauswärts abbog.
    Erst als sie auf einem Parkplatz in der Nähe des Decksteiner Weihers
hielten und sie sagte: „Komm, lass uns ein bisschen gehen“, kam er halbwegs zu
sich.
    Karin wartete, bis sie schon ein Stück am Kanal entlanggegangen waren,
ehe sie fragte: „Und?“
    „Dieses … dieses … Stück Scheiße!“, platzte es aus ihm heraus. „Dieses
widerliche Stück Scheiße! … Ich könnte ihr den Hals rumdrehen, ich schwör´s
dir! Dieses bösartige Luder müsste der Schlag treffen!“
    Er rannte ein paar Schritte vor und brüllte: „Ich habe acht Jahre
meines Lebens mit einem Stück Scheiße verbracht! Ist dir das klar?“
    Ein älterer Mann mit einem Pudel an der Leine drehte sich erschrocken
zu ihm um, während er mit in die Hüften gestemmten Fäusten direkt am Wasser
stehenblieb.
    Karin trat hinter ihn und fragte ruhig: „Sie hat was über mich gesagt,
hm?“
    Als sie keine Antwort erhielt, kombinierte sie weiter: „Sie hat was
über mein Bein gesagt, richtig?“
    Chris knurrte unwillig.
    „Komm.“ Sie nahm seinen Arm und drückte ihn auf eine Bank ein paar
Meter weiter. Sofort schwammen ein paar Enten heran und bettelten schnatternd um
Brot.
    Karin zündete zwei Zigaretten an und steckte ihm eine zwischen die
Lippen. Aber erst nachdem sie beide einen tiefen Zug inhaliert hatten, sprach
sie weiter. „Es wird immer wieder Leute geben, die Bemerkungen machen und blöd
gucken, Chris.“
    Sie malte mit ihrem Stock Kreise in den Sand. „Erinnere dich an
unseren Spaziergang vor ein paar Tagen.“
    „Aber warum, zum Teufel?“, rief er aufgebracht. „Du bist ein
wunderbarer Mensch. Und wenn du den Kopf unterm Arm tragen würdest, bliebst du
doch dieser Mensch!“
    „Weißt du, was sie mir früher in der Schule alles nachgerufen haben?“
Der Stock zeichnete jetzt Quadrate und Rechtecke.
    „Aber das waren Kinder!“, protestierte Chris.
    „Es hat deshalb nicht weniger weh getan“, gab sie leise zurück.

Zweiunddreißig
     
    Es nagte an
ihm, tagelang. Über Jahre hatte er mit einem Menschen zusammengelebt, ohne zu
erkennen, wie dieser Mensch wirklich war. Dabei hatte er geglaubt, alle
negativen Facetten von Anne zu kennen: von Rechthaberei bis Humorlosigkeit. Nur
Schläge unter die Gürtellinie waren bisher nicht vorgekommen. Es würde dauern,
das zu verkraften.
    All die Streitereien, die sie ausgefochten hatten, fielen ihm ein und
setzten sich in seinem Kopf fest. Hätte er nicht bei jeder einzelnen erkennen
müssen, welch kleinliche, ungerechte und intolerante Frau sie war? Wie bei der
Sache mit der Wurst. Um drei Scheiben Wurst war es gegangen. Drei! Schusslig
wie er nun mal war, kaufte er die falsche Sorte. Konnte sich einfach nicht mehr
erinnern, ob Anne nun grobe Salami oder feine Salami gesagt hatte. Sie machte
eine Tragödie daraus und beschimpfte ihn aufs Übelste. „Dich hat der Esel im
Trab verloren“ war dabei noch der harmloseste Ausdruck. Natürlich geriet auch
er in Wut. Ein Wort gab das andere und irgendwann nahm er, hilflos vor solchem
Starrsinn, die dicke Samstagsausgabe der Tageszeitung und schleuderte sie quer
durchs Zimmer. Im Flug köpfte die Zeitung eine blühende Begonie auf der
Fensterbank und trug damit nicht gerade zur Entschärfung der Situation bei.
Drei Tage herrschte eisiges Schweigen. Bis Chris sich entschuldigte — für die
Begonie und für die Wurst.
    Dutzende ähnlicher Szenen geisterten ihm ständig durch den

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