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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Fluren
flauschige Teppichböden in edlem Grau. Die Wände zierten riesige Poster der
romanischen Kirchen in Köln, Sankt Pantaleon, Groß Sankt Martin, Maria im
Kapitol.
    Eickboom schob sie in ein großes Büro, stellte einen Stuhl in die
Mitte und befahl ihr, sich zu setzen. Dann riss er die zarte Seidengardine aus
den Führungsschienen und band ihre noch immer gefesselten Hände am Stuhl fest.
Die Mühe, ihre Beine zu fixieren, machte er sich nicht mehr, wie Karin voller
Sarkasmus feststellte.
    Als er wortlos den Raum verlassen hatte, sah sie sich hektisch um.
Irgendetwas musste es hier doch geben, das sie erreichen, mit dem sie sich
befreien konnte. Auf dem überdimensionierten Nussbaumschreibtisch stand ein
Telefon. Aber wie dahin kommen? Wie es bedienen? Die Regale, in denen sich
Aktenordner um Aktenordner reihten, halfen ihr auch nicht weiter. Neben dem
Schreibtisch stand eine mannshohe Vitrine, in der Dutzende Elefanten aus Holz,
Porzellan oder Plüsch ausgestellt waren. Wenn sie es schaffte, sich mitsamt
Stuhl näher an die Vitrine zu schieben … sie könnte sich dagegen fallen lassen,
das Glas würde vielleicht bersten, und vielleicht würde sie eine Scherbe in die
Finger bekommen, mit der sie ihre Fesseln durchschneiden konnte.
    Nein, es würde einen Höllenlärm machen. Eickboom hatte das Gebäude mit
Sicherheit nicht verlassen und würde es sofort hören. Sie horchte angestrengt.
Es war totenstill im Haus. Auch draußen regte sich nicht viel. Wo war er? Was
hatte er vor?
    Eickboom kam mit einem grauen Kanister unter dem Arm zurück. Ohne sie
zu beachten, drehte er aus mehreren Blättern einer alten Zeitung, die auf dem
Schreibtisch gelegen hatte, eine Wurst, schraubte den Behälter auf und
träufelte ein wenig Flüssigkeit auf das Papier.
    Sofort stieg Karin beißender Benzingeruch in die Nase. Sie erstarrte
innerlich. In ihrem Mund wurde es staubtrocken, als sie sah, dass er die
Papierwurst wie einen Docht in die Tülle des Kanisters steckte.
    Offenbar zufrieden mit seinem Werk, wandte er sich Karin zu.
„Molotowcocktail á la Eickboom“, grinste er. „Das ist übrigens mein Büro.“
    Sie konzentrierte sich mit aller Macht auf diesen letzten Satz, um
das, was der Benzinkanister in ihr auszulösen drohte, wegzudrücken. Sein Büro!
Soweit sie wusste, befand sich Felting & Grube auf der anderen Rheinseite.
Was meinte er also mit „mein Büro“?
    „Haben Sie vielleicht Hunger, Frau Berndorf?“ Wieder war er der
liebenswürdige Gastgeber.
    Hunger? Sollte es eine Henkersmahlzeit geben? Hunger und
Benzinkanister — wie ging das zusammen?
    Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    „Ihre Hasselblad ist ein ausnehmend schönes Stück, wissen Sie das?“,
sagte er lächelnd und setzte sich ihr gegenüber.
    Er hatte das Stichwort geliefert; den Rest erledigte Karins
rotierender Verstand. Sie wollte es wissen! Alles! Begreifen. Endlich
verstehen, warum Inge sterben musste, Brigitte Tönnessen. Was es rechtfertigte,
zwei Menschen zu töten —vier, wenn nicht bald etwas geschah. Sie wollte
Klarheit, und wenn es nur dazu diente, ein wenig schlauer in die Urne zu
steigen.
    „Musste Inge deshalb sterben?“, fragte sie mit einer Stimme wie
Sandpapier.
    „Inge? Mein Gott, Inge sollte nicht sterben. Wahrhaftig nicht!“
    Er rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Es war ein
Missverständnis, ein Irrtum. Und dann ist einfach alles aus dem Ruder gelaufen.
Eine Verkettung unglücklicher Umstände …“
    Er seufzte und Karin wartete mit angehaltenem Atem, ob er
weitersprechen würde. Aber nach einem kurzen Zögern brach die Geschichte wie
ein Wasserfall aus ihm heraus.
    Eickboom hatte Inge bei einem Geschäftsfreund kennen gelernt und sich
Hals über Kopf in sie verliebt. Ein in die Jahre gekommener Mann, der seinen
zweiten oder dritten Frühling in den Knochen spürte. Sie begannen eine heftige
Affäre, in der sie unbesorgt und ungeschützt miteinander schliefen. Einfach,
weil Inge behauptete, sie wolle den Mann, den sie liebte, in sich spüren, so
wie er war. Und er benahm sich wie ein Idiot, ließ sich darauf ein und
verschwendete keinen Gedanken an ein Kind.
    Als sie dann schwanger war, bestand er auf Abtreibung, sie aber wollte
Geld. Viel Geld. Als Startkapital, um sich selbstständig zu machen. Damit
eröffnete sie unbewusst Eickbooms Lieblingsspiel, in dem es nur eine Regel gab:
Kein Geld ohne Gegenleistung. Also bestand er auf einen adäquaten Ausgleich. Er
machte

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