Fehlschuss
keinerlei Vorgaben, sondern wollte mit fast wissenschaftlichem Interesse
beobachten, was sie sich einfallen ließ. Schon nach ein paar Tagen präsentierte
sie dem leidenschaftlichen Sammler alter Kameras ein Geschenk, das es in sich
hatte. Wie hätte sie auch ahnen sollen, was die aufgeschweißte Namensplakette
in ihm auslöste?
„Wissen Sie eigentlich, wen Sie da fotografiert haben in der
Toskana?“, fragte er leise.
„Manuel Viego“, gab Karin zurück. „eine Art spanischer Mafioso. Aber
es wäre nie jemandem aufgefallen, wenn die beiden Frauen nicht gestorben
wären.“
„Richtig!“ Eickboom lachte gequält auf. „ Jetzt weiß ich das
auch! Jetzt, wo es beinahe zu spät ist, nicht wahr? Viego und ich haben seit
langer Zeit — sagen wir mal — Geldtransaktionen durchgeführt. Schwarzgeld, Sie
verstehen schon. Drei oder vier Mal im Jahr haben wir uns in San Filomento getroffen,
um alles Nötige zu besprechen. Als Sie dann mit der Kamera hinter dem Felsen
aufgetaucht sind, war er völlig außer sich. Er glaubte sich entdeckt, von der
Konkurrenz, von Interpol, von was weiß ich. Ich hatte das Ganze als das
verstanden, was es wohl auch war: Als einen saudummen Zufall.“
Zufall, dachte Karin. Zufall, Schicksal, Karma, Kismet. Wie auch immer
man es nannte, sie alle waren zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Nicht
mehr und nicht weniger. Sie glaubte nicht an den allwissenden, gütigen, vor
allem allmächtigen „Einen Gott“. Wenn er so gütig und allmächtig wäre, hätte er
die ersten zehn Jahre ihres Lebens anders gestaltet. So viel stand fest.
Allerdings konnte auch sie nicht bestreiten, dass es häufig Ereignisse gab, die
auf unerklärliche Weise miteinander verbunden zu sein schienen.
„Synchronizitäten“ sagten die Psychologen, „schicksalhafte Begegnungen“ die
Romantiker. Wenn sie einen Beweis für dieses Phänomen gebraucht hätte — der
weitere Bericht von Eickboom lieferte ihn.
Viego wollte an den Zufall nicht glauben und bestand darauf, die Frau
mit dem Fotoapparat zu identifizieren. Da es im Ort nur drei Hotels gab, machte
das keinerlei Probleme. Eickboom drückte dem Portier zwanzig Euro in die Hand
und erzählte ihm, der Frau seines Lebens begegnet zu sein, wüsste aber nicht,
wie sie heißt und so weiter. Der Mann hinter dem Tresen verriet ihm nicht nur
den Namen und den Wohnort von Karin, sondern gab weitere umfassende Auskünfte.
Er erzählte, dass die Dame Fotografin ist und vor ein paar Jahren schon einmal
in ihrem schönen Dorf gewesen war. Und natürlich waren die Einwohner
entsprechend stolz, dass ihre faszinierende Umgebung nun schon zum zweiten Mal
in einem Buch präsentiert werden sollte. Ja, er holte sogar aus einem
Hinterzimmer den Bildband, der damals mit Karins Fotos erschienen war und
zeigte ihn Eickboom mit leuchtenden Augen.
Das alles bestärkte ihn in seinem Glauben an einen dummen Zufall. Und
als der Portier ihm dann auch noch vertraulich ins Ohr flüsterte, ob er denn
wisse, dass die Signora schwer behindert sei und nur ein Bein habe, war er
vollends sicher. Wer hinter dem meistgesuchten Verbrecher Spaniens her war,
würde mit Sicherheit keine einbeinige Frau durch die Felsen klettern lassen.
All das überzeugte schließlich auch Viego. Außerdem wollte er jedes
Aufsehen vermeiden. Und ein Einbruch in Karins Hotelzimmer, der Diebstahl ihrer
Filme hätte Aufsehen erregt. Sie rechneten beide mit einer völlig normalen
Reaktion: Die Fotografin würde die unbrauchbare Aufnahme vernichten und alles
wäre gut.
Eickboom vergaß die Geschichte beinahe — bis Inge die Gegenleistung
brachte. Die Hasselblad mit der Namensplakette. Er geriet außer sich, vermutete
ein abgefeimtes Spiel. Er ging auf sie los, drohte ihr, sprach von einem
Negativ, das er haben wollte. Und Inge begriff sofort, dass hier ein
Missverständnis vorlag, und dass sie mit ein wenig Geschick jede Menge Geld aus
diesem Missverständnis machen konnte. Die Frau mit dem naiven Schmollmund
behauptete eiskalt, dass sie das Negativ hatte und wollte fünfzigtausend Euro,
bevor sie es herausrückte.
„Heute ist mir klar, dass sie nur geblufft hat.“ Eickboom sprach jetzt
so leise, dass Karin Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Ich habe sie darauf
gebracht, ihr die Worte in den Mund gelegt, und sie hat sie clever genutzt.
Dabei hatte sie keine Ahnung, um was es wirklich ging. Aber ich war so panisch,
dass mir das nicht aufgefallen ist. Ich habe Viego angerufen, und der schickte
gleich seinen Neffen
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